Die Philosophie muss eine andere Welt entdecken

Friedrich Nietzsches Annahme, dass es für die Philosophie noch eine „andere“ Welt zu entdecken gäbe, beschließt den Aphorismus „Auf die Schiffe!“ aus „Die fröhliche Wissenschaft. Die „andere“ Welt auf die Friedrich Nietzsche abzielt, ist identisch mit einem neuen, sinngebenden philosophischen Grundgedankengang. Dieser ist tauglich zu einer alternativen, aus herkömmlichen Philosophien nicht beziehbaren Daseinsberechtigung. Insbesondere für den Bösen, den Unglücklichen, den Ausnahme-Menschen, den Übermenschen. Christian Niemeyer ergänzt: „In „Jenseits von Gut und Böse“ sehen wir Nietzsche erneute auf „die Schiffe gehen“, nun ein – wie er es nennt – fast noch neues Reich gefährlicher Erkenntnisse entdeckend.“ Dabei handelt es sich um ein Reich psychologischer Erkenntnisse. Der Erziehungswissenschaftler und Psychologe Prof. Dr. phil. habil. Christian Niemeyer lehrte bis 2017 Sozialpädagogik an der TU Dresden.

Friedrich Nietzsche sieht die Welt mit tiefem Verdacht

Friedrich Nietzsche schreibt: „Die gesamte Psychologie ist bisher an moralischen Vorurteilen und Befürchtungen hängengeblieben: sie hat sich nicht in die Tiefe gewagt.“ An anderer Stelle erklärt der Philosoph im Jahr 1886: „Man hat meine Schriften eine Schule des Verdachts genannt, noch mehr der Verachtung, glücklicherweise auch des Mutes, ja der Verwegenheit. In der Tat, ich selbst glaube nicht, dass jemals Jemand mit einem gleich tiefen Verdachte in die Welt gesehn hat.“

Friedrich Nietzsche plädiert für eine neue Erkenntnismoral, die er denen abverlangt, die sich gleich ihm aufmachen, eine „andere“ Welt zu suchen. Denen trägt er dann auch folgerichtig in „Jenseits von Gut und Böse“ folgendes auf: „nun! wohlan! jetzt tüchtig die Zähne zusammengebissen! die Augen aufgemacht! die Hand fest ans Steuer! wir fahren geradewegs über die Moral weg, wir erdrücken, wir zermalmen vielleicht dabei unsern eigenen Rest Moralität, indem wir dorthin unsere Fahrt machen und wagen, – aber was liegt an uns!“

Das Böse ist des Menschen beste Kraft

Eines hat Friedrich Nietzsche ohne Zweifel erkannt. Die Rehabilitation des Bösen bedarf des psychologisch subtilen Blicks auf das Andere der Vernunft des vermeintlich „Guten“. Denn ohne Psychologie bliebe diese Struktur, diese auf Selbstidealisierung und Fremdverachtung beruhende Ideologie des „Guten“ in Geltung. Zu diese Ideologie gehört, das „Böse“ immer nur als das zu Überwindende zu lesen, nicht aber als lebensbedingenden Affekt. Im Zarathustra wird das Böse sogar als „des Menschen beste Kraft“ bezeichnet.

Die „andere“ Welt gibt ihr Geheimnis im Gegensatz zur „scheinbaren“ Welt durch empirische Forschung nicht preis, sondern durch psychologische Hermeneutik. In diesem Erkenntnisinteresse erweist sich Friedrich Nietzsche für Christian Niemeyer als ein Philosophierer, der sein Veto einlegte gegen die in seiner Epoche um sich greifende Entphilosophierung. Sein Hauptinteresse liegt darin, eine „andere“ Welt des Wissens zu entdecken, die sich von der Blindheit der Metaphysik („wahre Welt“) ebenso weit entfernt weiß wie von der Leerheit der Empirie („scheinbare Welt“). Quelle: „Auf die Schiffe, ihr Philosophen!“ von Christan Niemeyer

Von Hans Klumbies