Nur die Vernunft führt zur Wahrheit

Das 12. Jahrhundert legte einem Denkstil den Grund, der, so der britische Historiker Richard W. Southern, von der Überzeugung getragen war, dass sich durch Forschen die Schöpfung vollkommen verstehen lasse. Bernd Roeck erläutert: „Die Gottesgabe der Vernunft sollte ermöglichen, Wahrheiten über Gott und das Universum zu erkennen. Und so die Folgen des Sündenfalls, der das Wissen darum verdunkelt hatte, zu überwinden.“ Die Erkundung wurde unter der Führung großer Denker unternommen, allen voran Aristoteles und Platon, dessen Kenntnis oft noch Boethius vermittelte. Berengar von Tours, der im 11. Jahrhundert in Chartres wirkte, und Anselm von Canterbury (um 1033 – 1109) oft „Vater der Scholastik“ genannt, verteidigten Vernunft und Dialektik als Wege zu Glaubenswahrheiten. Bernd Roeck ist seit 1999 Professor für Neuere Geschichte an der Universität Zürich und einer der besten Kenner der europäischen Renaissance.

Anselm von Canterbury lieferte einen Gottesbeweis

Die beiden christlichen Denker entdeckten den Widerspruch, versuchten ihm mit aristotelischer Logik beizukommen, statt ihn wie früher einfach zu leugnen und zu übertünchen. Berengar von Tours zerpflückte die hergebrachte Lehre. Beim Abendmahl wandelten sich Brot und Wein zum Leib Christi und löste damit eine heftige Debatte aus. Sein Geistesbruder Anselm von Canterbury lieferte mit sprachlogischen Argumenten einen Gottesbeweis.

Anselm von Canterbury suchte ihn, zum ersten Mal seit der Antike, im Denken selbst. Und nicht mehr wie Aristoteles in der Logik der Kausalität. Diese verlangte, dass am Anfang jeder Kette von Gründen eine erste Ursache stehen müsse. Bernd Roeck ergänzt: „Glauben und Vernunft, so argumentierte er, könnten einander nicht widerstreiten, müssten vielmehr zur selben Wahrheit führen.“ „Ich frage nicht danach, zu verstehen, um zu glauben, sondern: Ich glaube, um zu verstehen.“ So brachte er die Wende hin zu einer kritischen Wissenschaft auf den Punkt.

Die ganze Wahrheit bleibt möglicherweise unerreichbar

Im Zentrum des Bemühens stand der Bibeltext, dem symbolische Bedeutung unterstellt wurde. Man glossierte, kommentierte und kommentierte die Kommentare. Die Vorstellung, Erkenntnis sei letztlich direkter göttlicher Eingebung zu verdanken, wich der Einsicht, dass eigenes Räsonieren erforderlich ist und die ganze Wahrheit möglicherweise unerreichbar bleibt. Logik und Dialektik, deren Gebrauch sich den Juristen absehen ließ, bemächtigten sich der Bibelauslegung, etwa der Debatten um die rätselhafte Dreifaltigkeit.

Das Problem der Theodizee – wie kann ein guter, allmächtiger Gott eine Welt voller Mängel und Bösem geschaffen haben? – wurde mit platonischem Rüstzeug angegangen. Die Geometrie, ein platonisches Erbe auch sie, vermittelte einen noch in der Renaissance einflussreichen Begriff es unendlichen Gottes. Er gleiche einer Kugel, deren Mittelpunkt überall und deren Umfang nirgendwo sei. Das wusste wohl das in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts entstandene „Buch der 24 Philosophen“. Quelle: „Der Morgen der Welt“ von Bernd Roeck

Von Hans Klumbies

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