Seneca gilt als Stoiker

Seneca gilt als Stoiker, Anhänger einer antiken Philosophenschule namens Stoa. Bei dieser stand emotionale Selbstbeherrschung auf der Tagesordnung. Aber ein philosophisches Lehrgebäude, das Mensch, Welt und Gott behaust, lässt sich daraus nicht zimmern. Stoisch wird heute bedauernd und meist etwas maliziös ein Mensch mit der unerschütterlichen Haltung eines fatalistischen Dulders genannt. Für diesen trägt sich im Leben nichts zu, wogegen Einspruch und Widerstand lohnend oder überhaupt möglich sein sollten. Echte Stoiker dagegen prägen die Schulung der Fähigkeit, zwischen dem zu unterscheiden, worauf der Mensch Einfluss hat, und dem, worauf er keinen hat. Um seine Energien entsprechend zu bündeln. Seneca genoss im Rom des Augustus die beste und höchste Bildung zum Redner und Anwalt. Die Wirren um dessen despotische Nachfolger Tiberius und Caligula spülten ihn jedoch in die Verbannung nach Korsika.

Ein guter Mensch freut sich über Ermahnung

Von Neros Mutter Agrippina wurde Seneca als Erziehungsbeistand zurückgerufen. In den Jahren 49 bis 62 übernahm er die Staatsführung und brachte es nebenbei zu großem Reichtum. Von seinem immensen Werk ist nur ein kleiner Teil erhalten, der freilich immer noch einige tausend Seiten umfasst. Nach drei letzten Jahren in Gelehrtenmuße zwang Nero ihn zum Selbstmord. Seneca war davon überzeugt, dass man seiner Seele täglich Rechenschaft ablegen müsse.

Wut, die weiß, dass sie täglich vor den Richter treten muss, wird aufhören und gemäßigter sein. Seneca durchforstete seinen gesamten Tag und ging seine Taten und Worte noch einmal durch. Er rät, nicht nur immer auf das zu achten, ob das, was man sagt, wahr ist, sondern auch darauf, ob derjenige, dem man es sagt, die Wahrheit ertragen kann. Ein guter Mensch freut sich über Ermahnung, die Schlechtesten reagieren besonders abweisend auf jemanden, der sie anleiten will.

Wut ist taub und ohne Besinnung

Man soll sich davor hüten, gleich die frisch aufkommende Wut mit sanften Worten zu bearbeiten. Denn sie ist taub und ohne Besinnung. Man sollte ihr Zeit lassen. Die Therapie schlägt beim Abklingen des Krankheitsschubes an. Am Anfang behandelt man Krankheiten mit Ruhe. Mit jedem erdenklichen Kunstgriff wird ein Therapeut der Raserei Ruhepausen verschaffen. Wenn sie aber dafür zu heftig ist, wird er ihr eine solche Scham oder Angst einflößen, dass die Raserei ihr nicht widerstehen kann.

Ist die Wut schwächer, wird er das Gespräch auf etwas Angenehmes oder Neues und Ungewöhnliches bringen. Und sie so durch die geweckte Neugier ablenken. Manches lässt sich nicht heilen, ohne getäuscht zu werden. Einen Wütenden allerdings zu züchtigen oder gar seinerseits deswegen auf ihn wütend zu werden, das würde ihn nur noch mehr erregen. Man muss eine solche Therapie fantasievoll und auf einschmeichelnde Weise angehen. Es sei denn, man hat eine solche Position, dass man seine Wut zerschlagen kann. Quelle: „Handbuch der Menschenkenntnis“ von Georg Brunold (Hg.)

Von Hans Klumbies