Eine Krankheit stört Funktionen im Organismus

Im Rahmen der heute vorherrschenden naturalistischen Konzepte betrachtet man Krankheit als Störung der Funktionsfähigkeit im Organismus. Barbara Schmitz erklärt: „Der Grundgedanke des naturalistischen Verständnisses besteht darin, Krankheit als Dysfunktion, als Defizit der normalen Funktion zu betrachten. Ein Organ ist dann gesund, wenn es seine Funktion im Kreislauf effizient erfüllen kann.“ Dabei ist aber jede Funktion im Hinblick auf einen ausgerichtet. Ein solches Modell ist also auf ein Ziel, sprich teleologisch angelegt. Das bedeutet wiederum: Es muss letzte Zwecke geben, aus denen sich all die anderen Zwecke ergeben. Einer der wichtigsten Vertreter eines naturalistischen Modells ist Christopher Boorse. Barbara Schmitz ist habilitierte Philosophin. Sie lehrte und forschte an den Universitäten in Basel, Oxford, Freiburg i. Br., Tromsø und Princeton. Sie lebt als Privatdozentin, Lehrbeauftragte und Gymnasiallehrerin in Basel.

Barbara Schmitz unterscheidet drei Krankheitsbegriffe

Für Christopher Boorse ist der naturalistische Begriff von Krankheit eigentlich ein biologischer. Ein solches Verständnis von Krankheit ist objektiv, nimmt immer eine Außenperspektive ein und versteht sich als wertneutral. Heilung besteht demzufolge darin, das Organ wieder zur normalen Funktionsfähigkeit zu bringen. Das naturalistische Bild von Krankheit, das eine Grundlage der modernen Medizin ist, lässt sich leicht auch auf somatische Krankheiten anwenden.

Barbara Schmitz betont: „Doch zeigen sich bei psychischen Krankheitsbildern schnell recht große Schwierigkeiten, da die ausschließliche Wahl der Außenperspektive kaum geeignet scheint, die Krankheit zu verstehen.“ Genau genommen erweist sich dieses Modell aber auch bei somatischen Erkrankungen als problematisch. Dies lässt sich zeigen, indem man drei verschiedene Krankheitsbegriffe voneinander unterscheidet: „disease“, „Illness“ und „sickness“. Für diese Begriffe gibt es jeweils keine adäquaten deutschen Übersetzungen. Unter „disease“ versteht man eine Störung der Funktionsfähigkeit, die objektiv durch Mediziner nachweisbar ist.

Eine Erkrankung hat viele Facetten

Unter „illness“ wird das subjektive Sich-krank-Fühlen gefasst. Und mit dem Begriff „sickness“ nimmt man auf die sozialgesellschaftliche Dimension der Krankheit Bezug. Das naturalistische Modell konzentriert sich voll und ganz auf „disease“. Es sieht diese Störung als primär und räumt ihr damit einerseits einen Vorrang gegenüber der „illness“ ein versteht andererseits den Begriff als Möglichkeit, gesellschaftliche „sickness“ zu prüfen. Das Verhältnis der drei Begriffe kann man aber auch ganz anders denken.

Was bedeutet es, zu verstehen, dass jemand krank ist? Formuliert man die Frage: „Was ist Krankheit?“ so um, wird deutlich, dass es nicht allein um Störungen der Funktionsfähigkeit gehen kann. Denn auch das Erleben des Subjekts muss dabei eine wichtige Rolle spielen. Primär für das Verstehen ist dann nicht „disease“, sondern „illness“. Es besteht allerdings die Tendenz, bei kurativen Maßnahmen den Gesamtkontext der Erkrankung zu wenig zu berücksichtigen. Quelle: „Was ist ein lebenswertes Leben“ von Barbara Schmitz

Von Hans Klumbies