Es gibt eine Frage, die endlos diskutiert wird und die lautet: „Was ist deutsch?“ Bis zum Jahr 1800 bezog sich die Antwort auf diese Frage in erster Linie auf die Sprache, nachdem die Reformation, im Gegensatz zur territorialen und konfessionellen Zersplitterung, das Deutsche als gemeinsame Sprache etabliert hatte. Jenseits dessen allerdings wurde es schnell diffus. Andreas Rödder ergänzt: „Und so wurde die Debatte über die deutsche „Identität“ zu einem Wesensmerkmal der deutschen Identität.“ „Redlich, rechtschaffen, unverstellt“ – in Johann Christoph Adelungs Grammatisch-kritischen Wörterbuch der hochdeutschen Mundart von 1811 wurden individuellen Charaktereigenschaften als Merkmale der Deutschen als Volk aufgeführt. Andreas Rödder zählt zu den profiliertesten deutschen Historikern und Intellektuellen. Seit 2005 ist er Professor für Neueste Geschichte an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.
Johann Gottlieb Fichte vertritt einen weltbürgerlichen Kosmopolitismus
Schon wenige Jahre zuvor hatte Johann Gottlieb Fichte in seinen „Reden an die deutsche Nation“ neben der Sprache solche kollektiven Charakteristika benannt: Sein statt scheinen, weltbürgerlicher Geist, Gründlichkeit, Festigkeit, Ursprünglichkeit, Geistigkeit.“ Wenn er die deutsche Nation dazu aufrief, „die großen Verheißungen eines Reichs des Rechts, der Vernunft und der Wahrheit“ herbeizuführen, mochte dies noch den weltbürgerlichen Kosmopolitismus in sich tragen, mit dem die Weimarer Klassik die Frage „Was ist deutsch?“ beantwortet hatte.
Auch Heinrich Heine sprach sein Wort von der „Sendung und Universalherrschaft Deutschlands“ im Hinblick auf die Menschenbefreiung im Geiste der Aufklärung. Und doch lag der Umschlag vom Selbstverständnis als Kulturnation in die kulturelle Selbstüberhöhung, vom Universalismus zum Nationalismus in greifbarer Nähe. Als die französische Regierung 1940 Anspruch auf die Rheingrenze als natürliche Grenze zwischen Frankreich und Deutschland erhob, gingen die nationalen Aufwallungen auf beiden Seiten hoch. Sprunghaft verbreitete sich ein deutsches Nationalgefühl im Zeichen von Abwehr und Opferbewusstsein.
Deutschland galt in Großbritannien als kulturelles Vorbild
Was den einen allerdings als Abwehr erschien, das deuteten andere als Raserei. Die einschlägige Außenwahrnehmung der Deutschen ging auf den römischen Dichter Lukan (39 – 65) zurück. Er hatte vom „furor teutonicus“ geschrieben und damit das Narrativ von den Teutonen als ewigen Invasoren in die Welt gesetzt, das in der Neuzeit vor allem auf Preußen angewendet wurde. Die Größe dieses Staates beruhe auf dem militärischen Geist, der für Preußen wichtiger sei als eine gute Regierung – so formulierten es die britischen Außenminister Castlereagh und Canning um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert.
Andreas Rödder fügt hinzu: „Parallel dazu verbreitete sich im späten 18. Jahrhundert vor allem in Frankreich eine andere Wahrnehmung, nämlich die der Natürlichkeit, der Naivität, der Tugend, des Enthusiasmus und der Sentimentalität der Deutschen, die im Gegensatz zur selbstempfundenen eigenen Dekadenz gesehen wurde.“ In Frankreich stand das Bild der idyllischen Kulturnation neben dem des brutalen, barbarischen und gewalttätigen Deutschen. Zugleich galt Deutschland als kulturelles, literarisches und philosophisches Vorbild und als Land der Romantik, insbesondere in Großbritannien. Quelle: „Wer hat Angst vor Deutschland?“ von Andreas Rödder
Von Hans Klumbies