Ohne Übung gibt es keine Glückseligkeit

Schon bei dem griechischen Philosophen Aristoteles bedurfte die Glückseligkeit vor allem einer Sache: Übung. Denn ein Tag könne einen Menschen weder glücklich noch selig machen, sondern dafür bedürfe es eines ganzen Menschenlebens. Ina Schmidt erläutert: „Das Glück ist also nicht das Gute, aber wir erleben es nicht, ohne nach dem Guten zu streben, und zwar immer und immer wieder – ein Leben lang.“ Und so, wie es sehr unterschiedliche Formen gibt, wie man das Gute mit dem Glück verbinden kann, ist es nicht verwunderlich, dass es auch in der philosophischen Suche nach dem Glück überaus vieldeutig zuging. Ina Schmidt gründete 2005 die „denkraeume“, eine Initiative, in der sie in Vorträgen, Workshops und Seminaren philosophische Themen und Begriffe für die heutige Lebenswelt verständlich macht.

Schon kleine Freuden können zu einem glücklichen Leben führen

So beschrieb zum Beispiel der griechische Philosoph Epikur scheinbar im direkten Gegensatz zu Aristoteles gerade das Lustprinzip als wichtigstes Merkmal eines gelingenden Lebens. Dabei ging es Epikur aber eher um das Freisein von Unlust, Leid oder Schmerz als um das muntere Tun und Lassen dessen, wozu man gerade Lust hat. Ganz im Gegensatz zu der heutigen Vorstellung eines „lustigen“ Lebens rät Epikur sogar, man solle seine Bedürfnisse auf die wirklich notwendigen reduzieren, um so große Enttäuschungen und Verlust zu vermeiden.

So reichen laut Epikur oftmals die kleinen Freuden aus, um ein glückliches Leben führen zu können. Die epikureische Philosophie sieht ein sinnliche Glück, Lust und Genuss nicht als Gegenspieler oder Hindernis für eine Form der Glückseligkeit, die sich im Streben nach reiner Erkenntnis und Askese wiederfindet. Epikur würde also auch das stoische Streben nach Affektfreiheit nur schwerlich unterstützen, bleibt aber dennoch der Idee des „rechten Maßes“ verbunden.

In der Neuzeit rückt das individuelle Glücksstreben in den Vordergrund

Ina Schmidt erklärt: „Zentral in der philosophischen Suche nach dem Glück wurde im Verlaufe der Neuzeit die wachsende Bedeutung des Einzelnen, das persönliche Streben nach einem geglückten Leben, das dem übergeordneten Prinzip der Glückseligkeit ein individuelles Glücksstreben zu Seite stellte.“ Im Zuge der Aufklärung entstanden neue Fragen, die das moderne Individuum sich selbst zu stellen begann. Immanuel Kant zum Beispiel fragte, wie die Menschen beschaffen sein müssten, um dem Glück teilhaftig zu werden.

In seinem Werk „Kritik der reinen Vernunft“ (1781) fast Immanuel Kant das Bemühen der Vernunft mit dem Versuch zusammen, die folgenden drei Fragen zu beantworten: Erstens: „Was kann ich wissen?“ Zweitens: „Was soll ich tun?“ und drittens: „Was darf ich hoffen?“ Dabei betrifft das persönliche Streben nach Glück, so Immanuel Kant, insbesondere die dritte Frage – nämlich die Überlegung, worauf ich hoffen darf, wenn ich tue, was ich soll. Hinter dieser Frage steht nach wie vor der Wunsch nach Glückseligkeit – die der Aufklärer als „Befriedigung aller unserer Neigungen“ definiert. Quelle: „Das Ziel ist im Weg“ von Ina Schmidt

Von Hans Klumbies