Nach der Inkorporation des „Sudetenlandes“ ins Reichsgebiet richtete sich nun das Interesse des Deutschen Reichs auf die Tschechoslowakei beziehungsweise das, was von ihr nach der Münchener Konferenz übrig geblieben war. Ulrich Herbert erklärt: „Um das Land zu destabilisieren, unterstützte die deutsche Regierung die separatistische Bewegung in der Slowakei, die auf deutsches Drängen schließlich die Abtrennung vom tschechischen Teil des Landes und die Unabhängigkeit erklärte.“ Als die tschechische Regierung Truppen schickte, um die Unruhen niederzuschlagen, nutzte Adolf Hitler die so entstandene Situation der Unsicherheit, um den in Berlin weilenden tschechischen Staatspräsidenten Emil Hácha so stark unter Druck zu setzen, dass er sich bereit fand, Deutschland offiziell zu Hilfe zu rufen und das Schicksal seines Landes „vertrauensvoll in die Hände des Führers des Deutschen Reiches“ zu legen. Ulrich Herbert zählt zu den renommiertesten Zeithistorikern der Gegenwart. Er lehrt als Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg.
Frankreich und Großbritannien garantierten Polen militärischen Beistand
Am 15. März 1939 marschierte die deutsche Wehrmacht in Prag ein, die „Resttschechei“ wurde als „Protektorat Böhmen und Mähren“ zum Nebenland des Deutschen Reiches erklärt, während die Slowakei zu einem selbstständigen, von Deutschland abhängigen Staat wurde. Ulrich Herbert erläutert: „Erneut erlangte das Reich auf diese Weise einen enormen wirtschaftlichen und militärischen Kraftzuwachs. Aber während es sich beim Rheinland, Österreich und dem „Sudetenland“ um Gebiete mit überwiegend deutscher Bevölkerung gehandelt hatte, war der Einmarsch in die „Tschechei“ nichts weiter als ein kriegerischer Akt ohne jede nationalpolitische Rechtfertigung.
In London und in Paris machte man sich auch gar keine Illusionen mehr über die kriegerische Absichten Deutschlands, eine Fortsetzung der Appeasement-Politik war nunmehr ausgeschlossen. Absehbar war, dass Polen das nächste Ziel deutscher Expansionspolitik sein würde; schon seit einiger Zeit hatte Berlin die Streitigkeiten insbesondere um den Status der Stadt Danzig verschärft. Als Reaktion darauf gaben Großbritannien und Frankreich unmittelbar nach dem deutschen Einmarsch in Prag eine Garantieerklärung ab, Polen militärisch beizustehen, sollte es angegriffen werden.
Deutschland und die Sowjetunion beschlossen einen Nichtangriffspakt
Dessen ungeachtet befahl Adolf Hitler der Führung der Wehrmacht, mit den Vorbereitungen eines Einmarsches in Polen sogleich zu beginnen. Ulrich Herbert fügt hinzu: „Allerdings hoffte man in Berlin, den zu erwartenden Krieg gegen Polen rasch siegreich beenden zu können, ohne dass die beiden Westmächte eingriffen, deren Regierungschefs Hitler nach den Erfahrungen von München für risikoscheu und feige hielt.“ Offen war jedoch, wie sich die Sowjetunion verhalten würde. Bei den hektischen diplomatischen Verhandlungen im Sommer 1939 konnten die Deutschen der sowjetischen Seite letztlich mehr bieten als die Westmächte, nämlich die Aufteilung Polens zwischen beiden Ländern.
Der westliche Teil Polens sollte an das Deutsche Reich, der östliche sowie das Baltikum an die Sowjetunion fallen. Am 24. August 1939 wurde das Bündnis geschlossen, das als Hitler-Stalin-Pakt in die Geschichte einging: formell ein Nichtangriffspakt, während die territorialen Vereinbarungen in einem geheimen Zusatzabkommen festgehalten wurden, dessen Existenz in Russland erst nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 bestätigt wurde. Machtpolitisch besaß der Pakt durchaus eine gewisse Logik: Beide Länder konnten ihre Machtbasis erweitern. Quelle: „Das Dritte Reich“ von Ulrich Herbert
Von Hans Klumbies