Der Romantiker ist tragisch isoliert

Was Narziss nie wissen wird, weil seine ganze Konzentration der betörenden Oberfläche gewidmet ist. Hinter seinem Spiegelbild liegt eine Welt, in der Bilder verfließen, in der eigene und fremdartige Gesetze herrschen. Das romantische Individuum ist tragisch isoliert und von einer ewigen Sehnsucht getrieben. Narzisstische Fantasien zerplatzen wie Seifenblasen an wissenschaftlichen Erkenntnissen und Theorien, die alle in dieselbe Richtung weisen. Nämlich dass es weder die Welt, so wie sie von Menschen wahrgenommen wird, noch die wahrnehmenden Individuen als solche überhaupt gibt. Philipp Blom fügt hinzu: „Das Bewusstsein ist seine eigene, ständig murmelnde Geschichte, die Membran aus Leben und Sinn, die kritische Zone der menschlichen Existenz, eine notwendige Fiktion.“ Ein wahrnehmendes Ich und eine wahrgenommene Welt flimmern auf. Philipp Blom studierte Philosophie, Geschichte und Judaistik in Wien und Oxford.

Den Kampf um die Zukunft gewinnt die effektivere Story

Ein Organismus ist so angepasst, dass er bestimmte Stimuli wahrnehmen und sich aus ihnen ein Bild von der Welt machen kann. Das erlaubt es ihm, sich erfolgreich durch die physische, die soziale und die psychologische Umgebung zu bewegen. Dabei dramatisiert er ständig ihre Erfahrungsinhalte, lädt sie emotional auf und erzählt sich Geschichten über sie. Dieser Film heißt Bewusstsein. In ihm spielt sich alles Leben und Erleben, alles Wahrnehmen und Erinnern und Empfinden ab. Der Film reißt irgendwann ab. Er ist unendlich schön und unerträglich grausam.

Vielleicht kann die Energie einer weiter gedachten Aufklärung tatsächlich neue Geschichten beflügeln, neue Figuren auf die Bühne stellen. Philipp Blom ergänzt: „Diese Geschichten aber werden sich behaupten müssen, denn sie haben längst die Hoheit über das Drama verloren. Den Kampf um die Zukunft gewinnt nicht die edlere, sondern die effektivere Geschichte.“ Politische Clowns und Entertainer internationaler Führungspositionen sind die logische Konsequenz einer Zivilisation, deren Imagination längst vermarktet wurde.

Die Utopie einer heilen Vergangenheit gibt es nicht

Je stärker die disruptiven Effekte des Klimanotstands werden, desto größer wird das Bedürfnis nach Sicherheit. Es beginnt die Suche nach starken Männern, einfachen Lösungen, nach Bestätigung, nach Ausgrenzung. Es bedarf keiner besonders lebhaften Fantasie, sich eine Zukunft vorzustellen, in der die Demokratie nur noch als abgespielte Kulisse auf der Bühne des Welttheaters steht. Denn das davor gegebene Stück benutzt längst einen anderen Text und bedient andere Bedürfnisse.

Die vermeintlichen Sicherheiten bestehen in der Flucht zurück, in eine Utopie der heilen Vergangenheit, die es nie gegeben hat. Dabei herrscht eine Vorstellung von Wirtschaftswunder und harmlosem Glück unter seinesgleichen vor. Diese Utopie muss durch Mauern und Gewalt gegen Eindringlinge bezahlt werden. Der Welt der Herren und Knechte ist gleichzeitig geschichtslos. Diese Antwort heißt Rückzug, Identität, ethnischer Pluralismus, eine Idee von Menschenrechten, die mindestens zwei Klassen kennt. Quelle: „Das große Welttheater“ von Philipp Blom

Von Hans Klumbies