Der Eros sorgte früh für Chaos

Am Anfang gehört die Liebe den Dichtern. Bevor die Philosophen sie entdecken, feiert man sie in Gedichten und Dramen. Vermutlich steckt hinter dieser historischen Tatsache mehr als nur ein chronologischer Zufall. Als würde erst das Leben sich selbst erzählen müssen, bis der Denker es begreift. Der Eros hatte bei den Denkerinnen schon früh für Chaos gesorgt. Peter Trawny nennt ein Beispiel: „Sappho, die sich selbst Psappho nannte, dichtet lesbische Liebe, hat sich aber der Legende nach wegen eines jungen Mannes namens Phaon von einem Felsen auf der Insel Lesbos ins Meer gestürzt.“ Die Dichterin stirbt im rhythmischen Element der Welle. Ebenso geht es in den Tragödien zu: Selbstmord und Todschlag, wohin das Auge blickt. Peter Trawny gründete 2012 das Martin-Heidegger-Institut an der Bergischen Universität in Wuppertal, das er seitdem leitet.

Die Liebe ist keineswegs tyrannisch

Dichter führen mitten in Athen krasse Theaterstücke zu Ehren eines gnadenlosen Liebesgottes auf. Platon meint, dass es so nicht weitergehen kann und man dagegen einschreiten muss. Deshalb schreibt er einen Dialog über das Leben in der Stadt, einen anderen über die Liebe. Am Ende sind beide zivilisiert. Schon am Beginn des Dialogs „Politeia“ behandelt Platon den Eros und nennt den Dichter Sophokles. Der nämlich gehört zu jenen Dramatikern, die das Chaos des Eros bloß darstellten, nicht kritisierten.

Daher führt Platon in seiner „Politik“ eine Figur ein, die den Liebesgott spielt: den Tyrannen. Hatte nicht Euripides schon gedichtet, Eros sei ein Tyrann? Peter Trawny ergänzt: „Platon nimmt das wörtlich und zeigt, dass ein Erotiker-Tyrann keine Stadt regieren sollte.“ Platon will zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Die Dichter sollen in der Stadt nur zensierte Stücke aufführen, weil sie prinzipiell Unruhe stiften. Zudem will er ihnen klarmachen, dass die Liebe keineswegs tyrannisch ist.

Platon trennt die Seele vom Körper

Es handelt sich also um einen Machtkampf, in dem sich entscheidet, wer herrschen soll. Platon zeigt, dass Liebe in der Tat eine ungeheuerliche Kraft, jedoch keineswegs zerstörerisch ist. Dazu muss er nichts Geringeres tun, als den Menschen neu zu erfinden. Hatten die Dichter die Liebe als einen über einen Menschen kommenden Gott, als eine zwingende Gewalt bedichtet, verlegt der Philosoph diese Kraft in die Seele. Peter Trawny fügt hinzu: „Darüber hinaus erklärt Platon, dass diese Seele abgrundtief vom Körper getrennt ist.“

Wahrscheinlich hat der griechische Philosoph in weltgeschichtlicher Tragweite nie Entscheidenderes gedacht. Der von der tyrannischen Liebe gehetzte Tyrann bedroht die öffentliche Ordnung. Denn ein Mann, der so getrieben werde, werde zum Trinker, zu einem Lüstling und Melancholiker. Zuletzt bestehe sein Leben aus seltsamen Festen, aus Origen mit üppigem Catering und teuren Prostituierten. All das aber will der nach sinnlichen Reizen hechelnde Körper. Die Seele dagegen will gerettet werden. Quelle: „Philosophie der Liebe“ von Peter Trawny

Von Hans Klumbies