Beim Lebensziel Glück entgleitet die Gegenwart

Wenn Menschen sagen, ihr Lebensziel sei es, glücklich zu sein, geben sie zu verstehen, dass sie unglücklich sind. John Gray ergänzt: „Da sie Glücklichsein als Projekt betrachten, können sie es nur in der Zukunft verwirklichen. Die Gegenwart entgleitet ihnen, und Angst schleicht sich ein.“ Sie fürchten, ihr Fortschreiten auf dem Weg zu dem künftigen Zustand könnten bestimmte Ereignisse stören. Also wenden sie sich der Philosophie und heutzutage der Therapie zu, die ihnen Linderung ihres Unbehagens versprechen. Indem sie sich als Heilmethode geriert, ist Philosophie ein Symptom der Störung, die sie zu beheben vorgibt. Andere Tiere haben es nicht nötig, sich von ihrer Befindlichkeit abzulenken. John Gray lehrte Philosophie unter anderem in Oxford und Yale. Zuletzt hatte er den Lehrstuhl für Europäische Ideengeschichte an der London School of Economics inne.

Katzen langweilen sich nie

Während Glück bei Menschen ein künstlicher Zustand ist, ist es bei Katzen die Verfassung, die ihrer Natur entspricht. Solange sie nicht in Umgebungen eingesperrt sind, die für sie unnatürlich sind, langweilen sich Katzen nie. John Gray erklärt: „Langeweile ist die Angst, mit sich selbst allein zu sein. Katzen sind glücklich, dass sie sie selbst sind, während Menschen versuchen, glücklich zu werden, indem sie sich selbst entfliehen.“ Hierin liegt der größte Unterschied zwischen Katzen und Menschen.

Sigmund Freud, der Begründer der Psychoanalyse, erkannte, dass eine unheimliche Form von Unglück bei Menschen normal ist. Warum sie das ist, hat Freud nie gesagt, und er hat auch nicht geglaubt, dass die Psychoanalyse sie erfolgreich behandeln könne. Heute gibt es zahllose Techniken, die Befreiung von ihr versprechen. John Gray weiß: „Diese Therapien mögen Menschen befähigen, mit anderen Menschen besser zurechtzukommen, sie können sie aber nicht von der Unruhe befreien, die Teil des Menschseins ist.“

Katzen sind einfach anders als Menschen

Das ist der Grund, weshalb so viele Menschen gern mit Katzen zusammen sind. Katzenliebhabern wirft man oft Anthropomorphismus vor. Sie würden Katzen menschliche Gefühle zuschreiben, obwohl sie sie nicht haben. Doch Katzenliebhaber lieben Katzen nicht, weil sie sich in ihnen wiedererkennen. Sie lieben Katzen, weil Katzen so anders sind als sie selbst. Um Unterschied zu Hunden sind Katzen nicht teilweise menschlich geworden. Sie interagieren zwar mit Menschen und mögen sie auf ihre Weise lieben lernen.

Aber im tiefsten Innern ihres Wesens sind Katzen einfach anders als Menschen. Nachdem sie Eingang in die Welt der Menschen gefunden haben, ermöglichen sie ihnen, über diese hinauszublicken. John Gray erläutert: „Nicht länger in unserem Denken gefangen, können wir von ihnen erfahren, warum unser nervöses Streben nach Glück erfolglos bleiben muss.“ Philosophie war selten ergebnisoffenes Fragen. Im Mittelalter war sie „Magd der Theologie“. Heute ist sie die Praxis, die Vorurteile bürgerlicher Akademiker zu analysieren. In ihren frühesten Formen wollte sie Gelassenheit lehren. Quelle: „Katzen und der Sinn des Lebens“ von John Gray

Von Hans Klumbies