Der deutsche Astronom und Physiker, Mathematiker und Naturphilosoph Johannes Kepler ist für Maria Popova der vielleicht glückloseste Mann der Welt. Vielleicht war er aber auch der größte Wissenschaftler aller Zeiten. Er lebt in einer Zeit, in der Gott mächtiger ist als die Natur und der Teufel den Menschen realer und Vertrauter als das Konzept der Schwerkraft. Johannes Kepler lebte von 1571 bis 1630. Die meisten seiner Zeitgenossen glauben, dass sich die Sonne alle vierundzwanzig Stunden um die Erde dreht. Ein allmächtiger Schöpfer hat sie auf eine perfekte Kreisbahn geschickt. Nur wenige wagen es, die abtrünnige Idee zu vertreten, dass sich die Erde um ihre eigene Achse dreht und zugleich um die Sonne. Die Bulgarin Maria Popova ist eine in den USA wohnhafte Autorin, Intellektuelle und Kritikerin. Sie ist bekannt als Gründerin der Online-Plattform Brain Pickings.
Johannes Kepler prägte das Wort „Orbit“
Die Abtrünnigen glaubten zudem, die Erde bewege sich dabei auf einer idealen kreisförmigen Umlaufbahn. Johannes Kepler sollte beide Überzeugungen widerlegen und das Wort „Orbit“ prägen. Zudem sollte er den Marmor schlagen, aus dem die klassische Physik gemeißelt werden sollte. Er entwickelte als erster Astronom eine wissenschaftliche Methode zur Vorhersage von Eklipsen. Als Erster brachte er die mathematische Astronomie mit der materiellen Realität in Einklang.
Denn Johannes Kepler bewies, dass physikalische Kräfte die Himmelskörper in berechenbaren Ellipsen kreisen lassen. Dadurch stieg er zum ersten Astrophysiker überhaupt auf. Johannes Keplers Leben zeigt, dass die Wissenschaft für die materielle Welt das bewirkt, was Plutarchs Gedankenexperiment, das als „Schiff des Theseus“ bekannt ist, für das Ich tut. Maria Popova erklärt: „Es gibt kein statisches, fest umrissenes Ich. Im Laufe unseres Lebens verändern sich unsere Gewohnheiten, Überzeugungen und Ideen bis zur Unkenntlichkeit.“
Die Realität bleibt einer ewigen Wandlung unterworfen
Zudem wandelt sich das physische und soziale Umfeld eines Menschen. Fast alle menschlichen Zellen werden ersetzt. Dennoch bleibt man für sich selbst, wer man ist. Das Gleiche gilt für das Verhältnis von Wissenschaft und Welt. Nach und nach reformieren neue Entdeckungen das Verständnis über die Realität. Diese Realität offenbart sich jedoch nur in Fragmenten. Je mehr Fragmente man wahrnimmt und analysiert, desto lebensechter erscheint das Mosaik, das man aus ihnen legt.
Dennoch bleibt es ein Mosaik, eine Repräsentation – unvollkommen und unvollständig, so schön sie auch sein mag, und ewiger Wandlung unterworfen. Drei Jahrhunderte nach Johannes Kepler erklärte der britische Physiker Lord Kelvin: „In der Physik gibt es nichts Neues zu entdecken. Was uns bleibt, ist nur, genauere Messungen vorzunehmen.“ Doch zur selben Zeit brütete der junge Albert Einstein in Zürich seine bahnbrechenden Ideen aus. Diese sollten in seine revolutionäre Vorstellung der Raumzeit münden und das elementare Verständnis der Realität irreversibel verändern. Quelle: „Findungen“ von Maria Popova
Von Hans Klumbies