1998 fand ein Demokratiewandel statt

Im Jahr 1998 ging mit der Ära Helmut Kohl die bis dahin längste Kanzlerschaft der Bundesrepublik zu Ende. Diese entsprach noch ganz dem traditionellen Muster seit Konrad Adenauer. Die Union als Staatspartei schloss bevorzugt ein Bündnis mit der FDP. 1998 ist dann in der Bundesrepublik Deutschland erstmals eine amtierende Regierung abgewählt worden. Dies hatte es seit ihrer Gründung 1949 noch nie gegeben. Rot-Grün kam an die Macht. Das war auch ein Generationenprojekt, die 68er, diese umstrittene Generation war endgültig in der Bundesrepublik angekommen. Edgar Wolfrum stellt jedoch fest: „Die Koalition der Sozialdemokraten mit Bündnis 90/Die Grünen unter Gerhard Schröder und Joschka Fischer war nach sieben Jahren erschöpft.“ Edgar Wolfrum ist Inhaber des Lehrstuhls für Zeitgeschichte an der Universität Heidelberg.

Das deutsche Parteiensystem fächert sich zunehmend auf

Edgar Wolfrum vertritt die These, dass dieses „Projekt“ auf Bundesebene keine Wiederholung mehr finden, sondern einmalig bleiben dürfte. Dies liegt seiner Meinung nach auf an der zunehmenden Auffächerung des deutschen Parteiensystems. Schon 2005 reichten die Mehrheitsverhältnisse nur für eine Große Koalition, die jedoch so groß nicht mehr war. Vor allem bei der Regierungsbildung 2017 wurde das Dilemma sichtbar. Sie dauerte länger als jede andere in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.

Bündnisse konnten nur geschmiedet werden, wenn sich eine größere Partei, in diesem Fall die Union, mit zwei kleineren zusammenraufte. Oder die beiden größeren, CDU/CSU und SPD, sich zusammentaten. Bundeskanzlerin Angela Merkel regierte seit 2005 in wechselnden Konstellationen. Doch ein Dreierbündnis zwischen Union, Grünen und FDP kam 2017 erst gar nich zustande. Im Sommer 1999 zog die deutsche Regierung von Bonn nach Berlin um. Aber es gab noch „Doppelministerien“ im alten Bonn und im neuen Berlin.

Berlin löst Bonn als Hauptstadt ab

Der Spatenstich für den Neubau des Kanzleramts im Spreebogen war im Februar 1997 erfolgt. Als erstes Verfassungsorgan war der Bundespräsident 1994 vollständig nach Berlin gezogen. Im Juli 1999 kam der Bundestag in das Reichstagsgebäude. Der Bundesrat zog in das Preußische Herrenhaus. Ab August residierte der seit 1998 amtierende Bundeskanzler Gerhard Schröder provisorisch im Staatsratsgebäude Erich Honeckers. Der Umzug von Bonn nach Berlin, diese Entscheidung war am 20. Juni 1991 gefallen.

Erstaunlich war dabei, wie knapp das Ergebnis nach der großen Debatte im Bundestag ausfiel: 338 Abgeordnete stimmten für Berlin als Hauptstadt des wiedervereinigten Deutschland, immerhin 320 votierten für Bonn. Darunter befand sich die Mehrheit der Parlamentarier aus der alten Bundesrepublik. In Bonn sei doch alles gut gewesen, der kleine Regierungssitz stehe für Modernität, westliches Demokratiemodell und europäische Einbindung. Außerdem, so fügten Krämerseelen hinzu, sei der Umzug teuer. Dabei schienen sie zu vergessen, was sie immer beschworen hatten: dass Berlin natürlich die Hauptstadt eines dereinst wiedervereinigten Landes sei. Quelle: „Der Aufsteiger“ von Edgar Wolfrum

Von Hans Klumbies