Die Frage nach der moralischen Verantwortung stellt sich, sobald man darüber nachdenkt, wie man sein Tun an dem ausrichtet, was man für gut hält. Darin stößt man beständig auf Uneinigkeiten und kontroverse Deutungen. Diese wischte man lange Zeit mit dem Hinweis weg, dass sich das Moralische doch von selbst verstehe. Es müsse also nicht eigens zum Thema gemacht werden. Ina Schmidt weiß: „Die Philosophie ringt dennoch und weil es eben nicht evident ist, seit über zweitausend Jahren um Antworten.“ Dabei ist die Philosophie nicht einmal sicher, was dieses Gute nun eigentlich ganz genau ist. Ina Schmidt ist Philosophin und Publizistin. Sie promovierte 2004 und gründete 2005 die „denkraeume“. Seitdem bietet sie Seminare, Vorträge und Gespräche zur Philosophie als eine Form der Lebenspraxis an.
Das Gute leitet das Handeln
Schon Sokrates antwortet auf die Frage des jungen Menon, woran das Tugendhafte, also das am Guten ausgerichtete Handeln denn zu erkennen sei: „Ich mache mir Vorwürfe, überhaupt nichts über das Gutsein zu wissen. Was ich nicht kenne und wovon ich nicht weiß, was es ist, wie könnte ich davon wissen, wie es beschaffen ist?“ Menon will nicht glauben, dass Sokrates so wenig vom Gutsein versteht. Sollte er denn zu Hause von seinem Gespräch mit einem der weisesten Männer erzählen, dass dieser nicht wisse, was das Gute sei?
Darauf entgegnet Sokrates: „Erzähle nicht nur das, sondern auch, dass ich, wie mir scheint, keinen anderen getroffen habe, der es wusste.“ In seinen Dialogen versteht Platon das Gute als eine Art den Menschen innewohnendes Prinzip, das ihr Handeln leitet und ihnen Orientierung gibt. Ina Schmidt fügt hinzu: „An anderer Stelle vergleicht er das Gute als Leitlinie für das menschliche Handeln mit der Bedeutung des Sonnenlichts für das menschliche Sehen.“
Das Ziel eines guten Lebens ist die Glückseligkeit
Ohne dieses Licht des Guten tappen die Menschen also moralisch im Dunkeln. Gleichzeitig müssen sie es aber in ihrem Handeln zum Ausdruck bringen, um es sichtbar zu machen. Das Gute ist also weniger etwas, das man entdeckt oder wie eine Erkenntnis zum Vorschein bringen kann. Sondern es ist eher eine Form der prozesshaften Übereinstimmung des eigenen Handelns mit dem, was man für richtig hält. Ina Schmidt erklärt: „Das Gute muss in uns selbst zum Ausdruck kommen, immer wieder aufs Neue.
Auch Platons Schüler Aristoteles bleibt bei dieser Ausrichtung am Guten. Er wird darin nur deutlich pragmatischer. In seiner „Nikomachischen Ethik“ beschreibt er die „eudaimonia“ (Glückseligkeit) als das Ziel eines „guten Lebens“. Dieses kann man jedoch nur erreichen, wenn jeder Einzelne sich tugendhaft – also moralischen Grundsätzen entsprechend – verhalte. Dabei geht es nicht um Tugendterror und moralischen Verzicht auf das, was man eigentlich gerne tun würde. Man darf in diesem guten Leben durchaus persönliches Wohlbefinden erwarten. Quelle: „Die Kraft der Verantwortung“ von Ina Schmidt
Von Hans Klumbies