Weisheit entsteht durch die Harmonie von Herz und Verstand

Frédéric Lenoir fragt zu Beginn seines neuen Buches „Weisheit“ seine Leser, warum sie sich für dieses Werk entschieden haben: „Hast Du dieses Buch aufgeschlagen, weil Du bedacht und vorausschauend handeln möchtest? Oder eher, weil Dir Dein Leben gut gelingen soll, wie Du ein gutes, aufrechtes und glückliches Leben führen möchtest.“ Die Weisheit im philosophischen Sinn, für die sich Frédéric Lenoir interessiert, beinhaltet das Ideal eines gelingenden Lebens. Seit jeher haben sich Menschen die Frage nach dem Sinn des Lebens gestellt. Immer und überall haben Männer und Frauen versucht, diese Frage zu beantworten. Die Antworten, die sie aus ihrem Wissen und ihrer Erfahrung geschöpft haben, weisen immer in die gleiche Richtung. Sie meinen, im kurzen Dasein eines Menschen sei es das Wichtigste zu lernen, wie man mit Herz und Verstand lebt. Frédéric Lenoir ist Philosoph, Religionswissenschaftler, Soziologe und Schriftsteller.

Die Weisheit vereint theoretisches und praktisches Wissen

Das Ideal eines stolzen, bewussten, klarsichtigen, verantwortungsvollen, liebevollen, harmonischen, gerechten, heiteren, fröhlichen und freien Lebens zu verfolgen – genau das ist es was Frédéric Lenoir als „Weisheit“ bezeichnet. Dieses Ideal ist allerdings nur sehr schwer zu verwirklichen, und deshalb definiert Frédéric Lenoir Weisheit als etwas, nach dem man strebt und weniger als ein Ziel, das man um jeden Preis erreichen muss. Doch es gilt: Wer nach Weisheit sucht, der möchte vorankommen, wachsen, sein Potential an Intelligenz, Kreativität und Gutherzigkeit entwickeln.

Für die Philosophen der Antike ist Weisheit zugleich theoretisches und praktisches Wissen. Das eine ist ohne das andere nicht denkbar. André Comte-Sponville, ein echter Liebhaber der Weisheit, drückt diesen Ansatz wie folgt aus: „Der Weise überdenkt sein Leben und lebt seine Gedanken.“ Es geht folglich immer um den Versuch, eigene Ideen und Überzeugungen in seinen Handlungen umzusetzen. Das bedeutet nicht, dass beides immer perfekt übereinstimmt, sondern dass man sich ständig darum bemühen sollte.

Philosophieren heißt Leben lernen

Frédéric Lenoir gibt seinen Lesern folgenden Rat: „Wer im Leben vorankommen will, sollte einen Hafen, ein Ziel anstreben und nach Mitteln suchen, um sie zu erreichen, anstatt ziellos umherzuirren.“ Denn niemand hat je ein höheres Ziel erreicht, der es nicht sehnlichst gewollt hätte. Allerdings darf die Suche nach Weisheit weder in einen Leistungsvergleich noch in einen Leistungsanspruch ausarten. Denn die Suche nach Weisheit ist ein Weg voller Demut und Akzeptanz dessen, was ist.

Für die Philosophen der Antike, sei es in Indien, China oder Griechenland, findet sich Weisheit bei der Suche nach einer allumfassenden und dauerhaften Zufriedenheit mit der eigenen Existenz. Frédéric Lenoir zieht daher folgendes Fazit: Philosophieren heißt Leben lernen. Und aus diesem Grund empfehlen die griechischen und römischen Weisheitsschulen ihren Anhängern verschiedene spirituelle Übungen: Achtsamkeit, Prüfung des Bewusstseins, das Lernen bestimmter Lebensmaximen, Selbstbeherrschung, die Heilung von Leidenschaften, Erinnerungen an gute Erlebnisse und vieles mehr.

Weisheit
und wie wir sie finden
Frédéric Lenoir
Verlag: Reclam
Gebundene Ausgabe: 109 Seiten, Auflage: 2019
ISBN: 978-3-15-011216-8, 14,00 Euro

Von Hans Klumbies