Eva Illouz analysiert den Weltbestseller „Shades of Grey“

In ihrem neuen Buch „Die neue Liebesordnung – Frauen, Männer und Shades of Grey“ beschäftigt sich Eva Illouz mit der Trilogie „Fifty Shades of Grey“ von E. L. James. Im Mittelpunkt des Bestsellers steht die Sadomaso-Beziehung zwischen einem erfolgreichen Geschäftsmann und einer jungen Studentin. Eva Illouz räumt ein, dass ihr die Lektüre der drei Bände absolut kein Vergnügen bereitet hat, wobei der erste für sie definitiv erfreulicher war als die folgenden zwei. Dabei hat sie untersucht, wie sich der immense Erfolg dieser Trilogie erklären lässt. Eva Illouz stellt fest: „An den Sexszenen liegt es mit Sicherheit nicht. Sex ist heute überall ganz leicht konsumierbar.“ Die israelische Soziologin Eva Illouz lehrt an der Hebräischen Universität Jerusalem. International bekannt wurde sie durch ihre Bücher „Die Errettung der modernen Seele“ und „Warum Liebe weh tut“.

„Shades of Grey“ ist eigentlich eine klassische Liebesgeschichte

Eva Illouz behauptet, dass die Sexszenen in dem Buch das am wenigsten innovativste sind. Sie erklärt: „In Wahrheit stellt der Sex nur die Verpackung dar, in  der sich die Liebesgeschichte verbirgt. Das ist eine ganz klassische Liebesgeschichte, was den Erfolg vor allem bei einer weiblichen Leserschaft erklärt.“ Liebesromane sind ihrer Meinung nach heutzutage ein Genre für Frauen. Aber darüber hinaus funktioniert „Fifty Shades of Grey“ wie ein klassisches Ratgeberbuch, in dem die Dimension zur Selbsthilfe nicht zu kurz kommt.

Die Trilogie liefert laut Eva Illouz viele Informationen, was den Umgang mit Sexspielzeug anbelangt und die Leser erfahren auch einiges über die sexuelle Praxis des Protagonisten Christian Grey, also über den Sadomasochismus. Eva Illouz war darüber hinaus verblüfft, dass so viele Befunde, die sie in ihrem letzten Buch „Warum Liebe weh tut“ beschrieben hat, nahezu eins zu eins in „Shades of Grey“ auftauchen. Sie erläutert: „Etwa die Asymmetrie zwischen Männern und Frauen: Er hat große sexuelle Erfahrung. Sie ist Jungfrau. Ihm widerstrebt es, zumindest zu Beginn, eine Bindung einzugehen, sie denkt sofort an große Liebe und Heirat.“

Sadomasochismus ist eine gute Lösung für das Problem der Gleichheit unter den Geschlechtern

Sowohl der Geschäftsmann als auch die Studentin leiden laut Eva Illouz an der Verletzung ihres Selbstwertgefühls und suchen nach Anerkennung in einer Beziehung. Dabei nutzen sie ihre Beziehung als Möglichkeit, ihre Geschlechter-Identitäten zu verhandeln. Eva Illouz erläutert: „Wo er sich nach Symbiose sehnt, wie es dem weiblichen Stereotyp entspricht, könnte man ihre Unabhängigkeit als typisch männlich bezeichnen.“ Ihrer Meinung nach wird in „Shades of Grey“ der sadomasochistische Sex als sehr gute Lösung präsentiert, was das Problem der Gleichheit zwischen den Geschlechtern angeht.“

Eva Illouz vertritt die These, dass der sadomasochistische Sex in „Shades of Grey“ als ein Weg gezeigt wird, sehr althergebrachte, sehr traditionelle Geschlechteridentitäten zu festigen, allerdings unter dem Schutzschirm der sexuellen Lust. Eva Illouz fügt hinzu: „Natürlich wird sich keine Frau heute noch ernsthaft nach einer traditionellen männlichen Identität sehnen, genauso wenig wie ein Mann sich nach einer unterwürfigen weiblichen Identität.“ „Shades of Grey“ ermöglicht es ihrer Meinung nach jedoch, über diese hochtraditionellen Geschlechteridentitäten zu phantasieren, wenn auch in einer scheinbar sehr fortschrittlichen Art.

Von Hans Klumbies