Gefühle können Unsicherheit und Chaos bewirken

Die Institutionalisierung der sexuellen Freiheit mittels Konsumkultur und Technologie hat folgenden Effekt gehabt. Eva Illouz kennt ihn: „Sie hat jegliche Gewissheit über die Substanz, den Rahmen und das Ziel sexueller und emotionaler Verträge grundlegend erschüttert.“ Was Eva Illouz die negative Struktur zeitgenössischer Beziehungen nennt, ist die Tatsache, dass die Akteurinnen nicht wissen, wie sie die Beziehung definieren, bewerten oder führen sollen, die sich nach vorhersehbaren und tragfähigen sozialen Drehbüchern beginnen. Die sexuelle und die emotionale Freiheit haben die bloße Möglichkeit, die Bedingungen eines Verhältnisses zu definieren, zu einer offenen Frage und zu einem Problem gemacht, das gleichermaßen psychologischer wie soziologischer Natur ist. Eva Illouz ist Professorin für Soziologie an der Hebräischen Universität von Jerusalem sowie Studiendirektorin am Centre européen de sociologie et de science politique de la Sorbonne.

Die Freiheit steht über allen anderen Werten

Nicht eine Vertragslogik, sondern eine allgemeine chronische und strukturelle Ungewissheit waltet nunmehr über die Herausbildung sexueller oder romantischer Beziehungen. Die sexuelle Freiheit ist heutzutage ein Interaktionsbereich, in dem „alles rund läuft“. Eva Illouz schreibt: „Die Akteurinnen verfügen über eine Fülle an technologischen Mitteln, kulturellen Drehbüchern und Bildern, um ihr Verhalten zu steuern, Gefallen an einer Interaktion zu finden und die Grenzen dieser Interaktion festzulegen.“

Die Gefühle jedoch haben sich zu der Ebene des sozialen Erlebens entwickelt, die „Probleme macht“, zu einem Bereich, in dem Verwirrung, Unsicherheit und sogar Chaos herrschen. Ganz gleich, ob man sie befürwortet oder verurteilt, eignet der Freiheit eine institutionelle Struktur, die auf die Selbstverständnisse und sozialen Beziehungen der Akteure durchschlägt. Axel Honneth behauptet zu Recht, dass die Freiheit für den modernen Menschen über allen anderen Werten steht, auch denen der Gleichheit und Gerechtigkeit.

Eva Illouz untersucht die Folgen der sexuellen Freiheit

Für Eva Illouz dagegen ist die Freiheit ein soziales Arrangement, das man stets gleichermaßen zu bewahren und zu hinterfragen hat. Sie vertritt die These, dass die Freiheit sowohl in der Sphäre der Wirtschaft als auch im zwischenmenschlichen Bereich kritisch untersucht werden sollte. Wenn kritische Wissenschaftler die zersetzenden Folgen der Freiheit im Bereich der Wirtschaftstätigkeit analysieren, gibt es keinen Grund, nicht auch in den persönlichen, emotionalen und sexuellen Sphären nach solchen Effekten zu fragen.

Die neokonservativen Elogen auf den Markt und die politische Freiheit sowie die scheinbar progressive Feier der sexuellen Freiheit sollten gleichermaßen auf den Prüfstand gestellt werden – und zwar im Namen eines umfassenden Verständnisses der Folgen von Freiheit. Eva Illouz möchte durch ihre Arbeit herausfinden, was an den kulturellen und politischen Idealen der sexuellen Moderne womöglich von ökonomischen und technologischen Kräften vereinnahmt oder entstellt worden ist, die im Widerspruch zu Idealen und Normen stehen, in denen sie Wesensmerkmale der Liebe sieht. Quelle: „Warum Liebe endet“ von Eva Illouz

Von Hans Klumbies