Erinnern kann sich der Mensch laut Erich Fromm in der Weise des Habens und in der Weise des Seins. Die beiden Formen des Erinnerns unterscheiden sich im Wesentlichen durch die Art der Verbindung der Gedanken, die man herstellt. Erinnert sich der Mensch in der Weise des Habens, so ist die Verbindung völlig mechanisch, wie es der Fall ist, wenn sich die Verbindung zwischen zwei Worten durch häufige gleichzeitige Verwendung einschleicht. Im zweiten Fall kann es sich um Verbindungen handeln, die auf rein logischen Zusammenhängen beruhen oder aufgrund der Zugehörigkeit zu einem bestimmten Gedankensystem bestehen.
Die lebendige Art des Erinnerns
Erinnern in der Weise des Seins ist dagegen aktives Tun, mit dem sich ein Mensch Worte, Gedanken, Anblicke, Bilder und Musik ins Bewusstsein zurückruft. Zwischen dem einzelnem Faktum, das man sich vergegenwärtigen will, und vielen anderen Fakten, die damit zusammenhängen, werden Verbindungen hergestellt. Hier werden die Verbindungen nicht in mechanischer oder rein logischer Art und Weise produziert, sondern in lebendiger Weise hergestellt.
Erich Fromm vertritt die These, dass dabei jeder Begriff mit einem anderen durch einen produktiven Akt des Denkens oder Fühlens verbunden wird, der einsetzt, wenn ein Mensch nach einem richtigen Wort sucht. Das bemerkenswerteste Beispiel für diese lebendige Art des Erinnerns sind die von Sigmund Freud gefundenen „freien Assoziationen“.
Jeder Mensch hat die Fähigkeit zur produktiven Erinnerung
Wer nicht in erster Linie am Speichern als solchem interessiert ist, wird feststellen, dass sein Gedächtnis, um gut zu arbeiten, eines starken und unmittelbaren Interesses bedarf. In der Existenzweise des Seins impliziert Erinnern, etwas ins Leben zurückzurufen, was man einmal gesehen oder gehört hat. Erich Fromm ist der Ansicht, dass jeder Mensch diese produktive Art des Erinnerns vollziehen kann.
Sie tritt ein, wenn er versucht, sich den Anblick von Gesichtern oder Landschaften ins Gedächtnis zu rufen, die er einmal gesehen hat. Das Gesicht oder die Landschaft taucht allerdings nicht sofort vor dem geistigen Auge auf. Die Voraussetzung des Gelingens ist, dass der Mensch das Gesicht oder die Landschaft mit ausreichender Konzentration betrachtet hat, um sie sich deutlich ins Gedächtnis rufen zu können.
Die entfremdete Erinnerung
Typisch dafür, wie man sich in der Weise des Habens an ein Gesicht oder eine Landschaft erinnert, ist die Art und Weise, wie die meisten Menschen ein Foto betrachten. Das Foto dient ihrem Gedächtnis, laut Erich Fromm, nur als Stütze, um einen Menschen oder eine Landschaft zu identifizieren. Das Foto wird für die meisten zu einer entfremdeten Erinnerung.
Eine weitere Form der entfremdeten Erinnerung ist es, wenn sich ein Mensch etwas aufschreibt, das er in Erinnerung behalten möchte. Indem er es aufschreibt, erreicht er, dass er die Information hat, aber nicht versucht, sie in seinem Gehirn zu speichern. Dass dabei das Aufschreiben die Fähigkeit des Erinnerns vermindert, kann jeder am besten an sich selbst beobachten.
Von Hans Klumbies