Ein Herrscher muss sich selbst im Griff haben

Institutionen allein – Verfassungen und Gesetze – genügen nicht. Mindestens so wichtig, wenn nicht wichtiger, ist die Moral der Herrschenden selbst. Für Aristoteles stellen neben der Fähigkeit und der Leistung der Herrschenden vor allem ihr Charakter, ihre Tugenden, die eigentliche Voraussetzung für ihre Sonderstellung dar. Ihre Herkunft ist zwar eine notwendige, aber keine hinreichende Voraussetzung für ihre Herrschaftsposition. Diese Überlegung ist für Katja Gentinetta so einfach wie einleuchtend: „Man stelle sich vor, ein Herrscher habe nicht einmal sich selbst, seine Emotionen und Triebe im Griff: Wie soll er dann über ein ganzes Volk herrschen?“ Außerdem ist – und darauf legt Aristoteles großen Wert – jeder für seine Tugenden verantwortlich. Die Politikphilosophin und Publizistin Katja Gentinetta ist Lehrbeauftragte an den Universitäten St. Gallen, Zürich und Luzern.

Entscheidend ist die Qualität der Elite

Das heißt: Seine Tugenden entwickelt der Mensch durch ständiges Üben. Die „Gutheit eines Charakters“ geht aus der Gewöhnung hervor, und diese braucht Erfahrung und Zeit. Das heißt nichts anderes als: Übung macht den Meister, nicht die Geburt. Und das bedeutet im Umkehrschluss: Geburt ist keine Garantie für Meisterschaft, auch bezogen auf die Herrschaft. Aber – und auch dieser Umkehrschluss ist ebenso wichtig – Geburt per se ist auch kein Hindernis.

Entscheidend ist die Qualität der Elite. Und diese zeigt sich in erster Linie über den Charakter, und dieser wiederum offenbart sich im Handeln. Nämlich wem sie dienen, sich selbst oder den anderen. Besonders interessant ist für Katja Gentinetta ein Blick auf die Französische Revolution. Also auf jenen Moment, in dem der frühneuzeitliche Feudalstaat durch die Republik mit zunehmender Mitwirkung der Bevölkerung umgeformt wurde. Dadurch legte man den Grundstein für die moderne Demokratie.

Alte Eliten werden durch ihre Kritiker abgelöst

Niemand hat diese Zeit, ihre Konditionen, Ereignisse und Folgen besser beschrieben als Alexis de Tocqueville. Es handelte sich dabei um jenen französischen Adligen, der, mittendrin und geprägt von diesen Umwälzungen, nicht nur die französischen Verhältnisse aus nächster Nähe beobachtete. Sondern er wollte in Folge auch die Demokratie in Amerika genauer verstehen und zog daraus Schlüsse, die bis heute nichts an ihrer Gültigkeit eingebüßt haben. Dass er ein Zeitgenosse von Karl Marx war, verleiht seinen Betrachtungen der wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Dynamiken eine besondere Schärfe.

Die Zeit zwischen dem Sturm auf die Bastille und der bürgerlichen Revolution sind eine schier unüberblickbare Aneinanderreihung von Revolten, Umstürzen und Verfassungsnovellen, die ihresgleichen suchen. Dennoch zieht sich ein Thema wie ein roter Faden durch diese Zeit: die Ablösung alter Eliten durch ihre vorherigen Kritiker. Als Beispiele nennt Katja Gentinetta die Französische Revolution von 1789, die Julirevolution von 1830 und die Februarrevolution von 1848. Quelle: „Eliten in der Politik: Wem dienen Sie?“ von Katja Gentinetta in Philosophicum Lech Band 23, „Die Werte der Wenigen“

Von Hans Klumbies