Die sozialen Medien können ihr Glücksversprechen nicht einhalten

Im Jahr 2020 nutzten mehr als 3,6 Milliarden Menschen soziale Medien. Ein Blick auf ihre Bedeutung für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und für die Stärkung von Empathie gegenüber der Natur ist daher unvermeidlich. Joachim Bauer stellt fest: „Das Versprechen, das die Social-Media-Plattformen ihren Nutzern machen, ist die zwischenmenschliche Verbundenheit.“ Man programmierte ihre digitale Architektur bewusst so, dass sie in maximal effizienter Weise das neurologisch verankerte Bedürfnis des Menschen anspricht. Nämlich mit anderen verbunden zu sein, also einerseits gehört und gesehen zu werden und andererseits sich selbst Ausdruck verleihen zu können und Gehör zu finden. Obwohl sie die Sehnsucht nach sozialer Verbundenheit offensichtlich in hohem Maße erfolgreich ansprechen, scheinen die sozialen Medien ihr Glücksversprechen jedoch nicht einhalten zu können. Prof. Dr. Med. Joachim Bauer ist Neurowissenschaftler, Psychotherapeut und Arzt.

Die körperliche Präsenz anderer Menschen ist unverzichtbar

Wissenschaftliche Untersuchungen deuten darauf hin, dass die Nutzung sozialer Medien, vor allem wenn sie zeitintensiv – über mehrere Stunden täglich – stattfindet, das subjektive Empfinden der User mindert. Entgegen der Erwartung reduziert sie die Einsamkeit nicht, sondern steigert sie sogar. Joachim Bauer erklärt: „Ein Grund dafür scheint unter anderem darin zu liegen, dass sich das Internet zu einer Plattform ständigen Bewertens, Vergleichens, Verglichen-Werdens und damit von Neid und Eifersucht entwickelt hat.“

Obwohl viele Nutzer in ihren digitalen Accounts Dutzende von „Freunden“ gelistet haben, tragen die sozialen Medien zum Wohlbefinden offenbar nur wenig bei. Ganz anders als Freunde, mit denen man in der analogen Welt psychisch – von Angesicht zu Angesicht – zusammenkommt. Ein hinreichendes Maß an physischer, also körperlicher Präsenz anderer Menschen scheint zu den essenziellen, unverzichtbaren Bedürfnissen des Menschen zu zählen. Drei wesentliche Faktoren dürften hier eine Rolle spielen.

Berührungen sorgen für zwischenmenschliche Verbundenheit

Joachim Bauer erläutert: „Um Verbundenheit zu erleben, brauchen Menschen direkten Blickkontakt, der über das Internet nicht möglich ist – da man nicht gleichzeitig in die Linse der Kamera und in den Augen des Gegenübers auf dem Bildschirm schauen kann.“ Ein weiterer Aspekt betrifft meistens nicht bewusst wahrgenommene, sich automatisch einstellende Synchronien – Gleichwertigkeiten – die sich bei den Bewegungen zweier Menschen beobachten lassen, die sich in der realen Welt begegnen.

Mit anderen Menschen in einer Art körperlicher Gleichheit zu sein schafft, wie Untersuchungen zeigen, ein Gefühl der Verbundenheit. Ein dritter Aspekt betrifft die Tatsache, dass es nur bei analogen Begegnungen möglich ist, sich zu berührten. Joachim Bauer weiß: „Berührungen – und seien sie nur symbolischer Natur wie im Falle eines Händedrucks oder eine kurze freundliche Berührung des Unterarms eines anderen Menschen – sind eine unverzichtbare Komponente für das Gefühl zwischenmenschlicher Verbundenheit.“ Quelle: „Fühlen, was die Welt fühlt“ von Joachim Bauer

Von Hans Klumbies