Der Geist besitzt eine zweiteilige Realität

Der Geist ist ein Zimmer mit Aussicht: Aus dem Zimmer beobachten die Menschen sowohl die Außenwelt als auch die private Innenwelt. David Gelernter erläutert: „Mental sind wir in unserem Zimmer eingeschlossen, genau wie wir physisch in unserem Körper eingeschlossen sind.“ Die Aussicht ist großartig. Und das ist auch sehr gut so, denn die Menschen können das Zimmer niemals verlassen. In der Philosophie drehen sich viele große, tiefgreifende Fragen um die zweiteilige Realität des Geistes. Immanuel Kant stützt seine beiden grundlegenden, ewig wahren Anschauungen auf den Gegensatz von „innerer“ und „äußerer“ Realität. Die Idee des Raumes unterliegt der Anschauung der Außenwelt. Aber noch vor dem Raum kommt die Zeit, und sie ist eine Anschauung der inneren Welt. David Gelernter ist Professor für Computerwissenschaften an der Yale University.

Die subjektive Realität gewinnt langsam an Bedeutung

Wissenschaftler und Philosophen, die sich mit dem Geist beschäftigen, neigen jedoch seit einigen Jahren häufig dazu, die innere Welt zugunsten der äußeren Welt kleinzureden oder völlig außer Acht zu lassen. Ihr heiliger Gral ist die reine Objektivität. Und Subjektivität scheint ein verdächtig guter Freund des nahezu größten Übeltäters auf der ganzen Welt zu sein: des Unwissenschaftlichen. Der amerikanische Philosoph John Searle schreibt: „Die Geschichte der Philosophie des Geistes war in den letzten hundert Jahren größtenteils der Versuch, das Mentale loszuwerden. Indem man nachweist, dass es oberhalb und jenseits der physischen Phänomene keine geistigen Phänomene gibt.“

Das Physische gegenüber dem Geistigen in den Vordergrund zu stellen scheint ungeheuer wissenschaftlich zu sein und hat unausweichliche Folgen. John Searle betont: „Aus dieser Krise resultiert eine Flucht vor der Subjektivität.“ Vom Computer abgeleitete Vorstellungen über den Geist haben dazu geführt, die Subjektivität zu missachten und ihr die kalte Schulter zu zeigen. Dennoch hat der Subjektivismus mittlerweile wieder mehr Anhänger als noch vor einer Generation. Wichtige Stimmen wie John Searle und Thomas Nagel betonen nach wie vor aus dem philosophischen Mainstream heraus die große Bedeutung der subjektiven Realität.

Privates Erleben kann nur subjektiv sein

Außerhalb des philosophischen Mainstream wird der Subjektivismus durch die Phänomenologie vertreten. Dabei handelt es sich um eine Denkschule vom Beginn des 20. Jahrhunderts, die heute wiederbelebt wird. Noch wichtiger aber ist die Lesart des Philosophen und Psychoanalytikers Jonathan Lear von Sigmund Freud. Diesen bezeichnet er als Erfinder der „Wissenschaft der Subjektivität“. Der Freudianismus erlebt ein stilles, aber starkes Comeback auf der Grundlage weniger einfacher Kernideen. Diese kann nicht einmal der überzeugteste Anti-Freudianer ernsthaft leugnen kann.

Aber die Tiefenpsychologie (Freuds Erfindung) und das ganze Gebiet des Subjektivismus in Wissenschaft und Philosophie traten jahrzehntelang auf der Stelle. Sie verharrten in einer Verteidigungsposition. Sigmund Freud mag die Wissenschaft des Subjektiven erfunden haben, aber der Erfinder der Subjektivität war er natürlich nicht. David Gelernter erläutert: „Privates Erleben kann nur subjektiv sein. Und der Geist schafft privates Erleben. Entsprechend muss die Wissenschaft des Geistes eine subjektive Wissenschaft sein.“ Quelle: „Gezeiten des Geistes“ von David Gelernter

Von Hans Klumbies