Computer-Logik generiert scheinbar Sicherheit

Rebekka Reinhard behauptet: „Wer die verblödete Vernunft über die Welt stülpt, sieht alles gestochen scharf.“ Sämtliche Widersprüche sind bereinigt. „Schlecht“ und „falsch“ stecken akkurat zusammengefaltet im dafür vorgesehenen Kästchen, „echt“ und „wahr“ im Kästchen gegenüber. Und das sind noch zwei für „männlich“ und „weiblich“. Alles klar. Computer-Logik macht glücklich und kennt keine Angst. Angst haben nur Leute, die sich von inneren Zuständen leiten lassen. Computer-Logik weiß, wie man Sicherheit generiert. Katastrophen sind wie Krisen: einfach irre Neuigkeiten, die zum Alltag gehören wie die neueste Dramaserie. So schlimm kann eine Kernschmelze nicht sein, wenn man Tschernobyl jetzt streamen kann. Oder? Solange sie entweder nicht mehr oder noch nicht da ist, ist Zeit für weitere Serienerlebnisse. Die Philosophin Rebekka Reinhard ist seit 2019 stellvertretende Chefredakteurin des Magazins „Hohe Luft“.

Jean Baudrillard prägte den Begriff des „Hyperrealen“

Die Null-und-Eins-Logik bannt die Angst und steigert das Glück. So wie die Schutzhülle, die man über Block 4 des Kernkraftwerks in Tschernobyl gezogen hat, um die Radioaktivität zu bannen. Rebekka Reinhard stellt fest: „Solange die Angst sicher verkapselt ist, ist Entspannung angesagt. Man kann sich Chips fressend die auf HD-Screens eingehegten düsteren Bilder und Atmosphären reinziehen und sich an Katastrophen wie an Kunstwerken laben.

Was ist heute noch real? Als er den Begriff es „Hyperrealen“ prägte, schien Jean Baudrillard (1929 – 2007) die Welt des 3. Jahrtausends ziemlich treffend vorwegzunehmen. Rebekka Reinhard erläutert: „Schon in den 1970er Jahren glaubte er, in der Flut multimedialer Informationen, Botschaften, Bilder und Zeichen Symptome eines gewissen Realitätsschwunds zu erkennen.“ An die Stelle des Realen tritt laut Jean Baudrillard das Hyperreale, das den Menschen aber nicht erschreckt, sondern dem er eher fasziniert gegenübersteht.

Die Welt ist mit dem World Wide Web verschmolzen

Der binäre Digitalcode wird zur Keimzelle hyperrealer Zweiwertigkeiten, die Bild und Abbild, Original und Kopie zugleich darstellen. Eine Rationalität der Simulation reproduziert nur mehr austauschbare Gegensatzpaare. Der Binärcode verdoppelt die Realität gleichsam, meint der französische Philosoph, und bringt sie eben dadurch zum Verschwinden. Jean Baudrillard schreibt: „Wirklichkeit und Fiktion sind nicht auseinanderzuhalten, und die Faszination des Attentats (9/11) ist in erster Linie eine Faszination durch das Bild.“

Kopien des Realen, die genauso real erscheinen wie das kopierte Original, nennt Jean Baudrillard „Simulakren“. Der französische Philosoph tut so, als hätten Nullen und Einsen die Macht, die Wirklichkeit abzuschaffen. Aber das stimmt natürlich nicht. In der Welt, die Jean Baudrillard hyperreal nannte, muss sich niemand mehr fürchten. Rebekka Reinhard erklärt: „Die Ästhetik hat die Ethik abgelöst, der Lifestyle das Leben, die Zahl den Wert. Die Welt ist mit dem World Wide Web verschmolzen, einem weitgehend kostenlosen Zusatzuniversum, in dem nichts verborgen bleibt.“ Quelle: „Wach denken“ von Rebekka Reinhard

Von Hans Klumbies