Das Orakel von Delphi sagte die Zukunft voraus

Im alten Orient trafen die Könige und ihre Berater wichtige Entscheidungen des Gemeinwesens nicht ausschließlich nach ihrem Sachverstand. Sondern sie bedienten sich unabhängiger Sachverständigenräte. Über Jahrhunderte ermittelte man wichtige Entscheidungen durch die Deutung der Eingeweide eines extra dafür geschlachteten Schafs. Paul Kirchhof weiß: „Auch in der Antike haben die Menschen ein Orakel befragt, das ihnen die Zukunft voraussagen und Entscheidungshilfen geben sollte. In Delphi saß Pythia auf einem Dreifuß über einer Erdspalte. Aus dieser Spalte sollen Dämpfe aufgestiegen und sie in einen Trancezustand versetzt haben.“ Dr. jur. Paul Kirchhof ist Seniorprofessor distinctus für Staats- und Steuerrecht an der Universität Heidelberg. Als Richter des Bundesverfassungsgerichts hat er an zahlreichen, für die Entwicklung der Rechtskultur der Bundesrepublik Deutschland wesentlichen Entscheidungen mitgewirkt.

Kein Mensch kann seinen nächsten Tag voraussehen

Auch die Gegenwart sucht Zukunftsvorstellungen, stützt die Prognose aber auf Daten. Die Vorhersage denkt Erfahrungen in die Zukunft voraus, hat auch Beteiligte nach ihrem zukünftigem Verhalten befragt. Das prominenteste Beispiel ist in Deutschland der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung – die „fünf Wirtschaftsweisen“. Sie sagen die zukünftige Wirtschaftsentwicklung voraus und prognostizieren dabei in der Genauigkeit von Zahlen das Bruttoinlandsprodukt und die Inflationsrate.

Auch diese Prognose ist natürlich nicht immer richtig. Dennoch vermitteln diese quantifizierten Werte in ihrer Einfachheit und Verständlichkeit Orientierung. Sie geben den Menschen Zukunftssicherheit. Und sie begründen andererseits auch Erwartungen der Wirtschaftsbeteiligten, nach denen diese handeln und damit die Prognosen erfüllen. Paul Kirchhof stellt fest: „Jeder Mensch denkt über seine Zukunft nach. Dabei ist er sich jedoch bewusst, dass er sein Leben nicht einmal für den nächsten Tag voraussehen, geschweige denn seine langfristige Entwicklung schon heute erfahren kann.“

Die Erfahrung von heute ist die Überraschung von morgen

Er kann zwar seine Erfahrungen in die Zukunft weiterdenken. Er ist sich dabei aber stets bewusst, dass aus der Erfahrung von heute die Überraschung von morgen werden kann. Wer nach dem Sinn und Ziel seines Lebens sucht, erlebt Machtlosigkeit und Ohnmacht. Er erwägt Antworten jenseits seiner Erfahrungen und seiner Kraft für Voraussagen. Paul Kirchhof ergänzt: „Er greift auf die Fähigkeiten zu hoffen, zu vertrauen, zu staunen zurück. Diese geistige Weite ist Folge seiner Rationalität.“

Alle Wissenschaften rücken, je erfolgreicher sie sind, die Schranken menschlichen Wissens ins Bewusstsein. In der Krise und der Not fehlen oft Fertigkeiten und Möglichkeiten der Steuerung. Erfahren und Verstehen ist durch individuelle Lebenssicht, durch persönlichen Charakter und Begabung bedingt. Das macht manche Menschen bescheiden. Alle Erfolge der Naturwissenschaften, alle geistigen Höhenflüge der Philosophie, alle Erfahrungen der Geschichtswissenschaften können Grundsatzfragen des Lebens nicht beantworten. Zum Beispiel die Fragen: „Was ist der Mensch?“ oder „Was ist die Zeit? Quelle: „Beherzte Freiheit“ von Paul Kirchhof

Von Hans Klumbies