Die Sprache ist von Unschärfe geprägt

Zur Lebenswelt der Menschen gehört auch die natürliche Sprache. Also zum Beispiel Deutsch, Finnisch oder welche Sprache man auch immer in Deutschland als Muttersprache spricht. Markus Gabriel stellt fest: „Übrigens ist es gar nicht so einfach, wie man denkt, Deutsch als Amtssprache zu definieren.“ Welche Fremdwörter und mathematischen Formeln gehören zum Deutschen? Natürliche Sprachen sind keine formalen Systeme. Die Bedeutung der meisten Ausdrücke, vermutlich sogar die Bedeutung aller Ausdrücke, ist nicht präzise definiert. Das nennt man in der Sprachphilosophie Unschärfe beziehungsweise Vagheit. Ludwig Wittgenstein kommt in seinen „Philosophischen Untersuchungen“ zu der Einsicht, dass die natürliche Sprache durch und durch unscharf ist. Markus Gabriel hat seit 2009 den Lehrstuhl für Erkenntnistheorie und Philosophie der Neuzeit an der Universität Bonn inne. Zudem ist er dort Direktor des Internationalen Zentrums für Philosophie.

Übersetzungsprogrammen darf man nicht vertrauen

Ludwig Wittgenstein vertrat die These, dass die Sprache nur wegen ihrer Unschärfe überhaupt funktioniert. Auch die Lebenswelt ist voller Vagheit und würde ansonsten ebenfalls nicht funktionieren. Dem Problem der Unschärfe kann man übrigens nicht dadurch entrinnen, dass man zwanghaft versucht, sämtliche Begriffe präzise zu machen, indem man seine Wörter genau definiert. Niemand ist beispielsweise imstande, „Wiener Schnitzel“ vollständig durch die Angabe aller Merkmale zu definieren.

Unter starker künstlicher Intelligenz (K. I.) versteht man die Annahme, dass die Wissenschaft eine K. I. entwickeln können, die von der menschlichen Intelligenz ununterscheidbar ist. Natürlich gibt es derzeit keine solche K. I. Kein Chatbot oder sonstiges Programm ähnelt auch nur annähernd der menschlichen Intelligenz, wie man sie kennt. Auch auf der sprachlichen Ebenen gibt es weiterhin kein Übersetzungsprogramm, dem man vertrauen kann. Man kann nicht einfach einen beliebigen Text eingeben, der dann angemessen übersetzt wird.

Semantische Atome lassen sich mit den Denksinn erfassen

Markus Gabriel weiß: „Jede K. I. liefert uns Ergebnisse auf der Grundlage einer beschränkten Datenbasis.“ Natürlich ist die Datenbasis, auf die K. I.s zugreifen können, im digitalen Informationszeitalter rapide gewachsen. Deshalb sind auch Suchmaschinen immer besser imstande zu antizipieren, wonach User suchen. Dennoch würde niemand auf die Idee kommen, dass die Suchmaschinen in derselben Weise intelligent sind wie man selbst. Die Philosophen John Searle und Hubert Dreyfus argumentieren auf der Basis der Vagheit der menschlichen Sprache gegen die Möglichkeit einer starken K. I.

Georg Wilhelm Leibniz (1646 – 1716) vertrat die Ansicht, dass die Menschen keinen einzigen Begriff jemals vollständig analysieren können. Platon und Aristoteles nahmen übrigens an, dass man die einfachen Begriffe, die sogenannten semantischen Atome, die nicht weiter zerlegbar sind, mit einem Denksinn erfassen kann. Diesen bestimmen sie als Geist beziehungsweis Intelligenz. Das klingt noch in dem deutschen Wort Vernunft an, die ja auch etwas vernimmt, also etwas entgegennimmt. Quelle: „Der Sinn des Denkens“ von Markus Gabriel

Von Hans Klumbies