Xerxes herrschte über das größte Reich

Eine der engsten Stellen des Hellespont, des schmalen Kanals, der sich von der Ägäis ins Schwarze Meer hinauf schlängelt, trennt Europa von Asien. Dort ragte eine Landzunge, der sogenannte Hundeschwanz, von der europäischen Seite aus ins Meer hinein. Hier war 480 Jahre von Christi Geburt eine so erstaunliche Tat vollbracht worden, dass es den Anschein erweckte, ein Gott habe gehandelt. Tom Holland erklärt: „Zwei Ponton-Brücken, die sich vom asiatischen Ufer hinüber zum Hundeschwanz erstreckten, hatten die beiden Kontinente zusammengespannt.“ Natürlich hatte nur ein Monarch, der über unendliche Mittel verfügte, die Meeresströmungen in einer so herrschaftlichen Art und Weise zähmen können. Xerxes, der König Persiens, herrschte über das größte Reich, das die Welt je gekannt hatte. Der Autor und Journalist Tom Holland studierte in Cambridge und Oxford Geschichte und Literaturwissenschaft.

Niederlagen erzwangen den Rückzug der Perser

Von der Ägäis bis zum Hindukusch marschierten sämtliche wimmelnden Horden Asiens nach seinem Befehl. Wenn er in einen Krieg zog, konnte er Streitkräfte versammeln, die, so hieß es, ganze Flüsse leertranken. Nur wenige, die beobachteten, wie Xerxes den Hellespont überquerte, bezweifelten, dass ihm bald der gesamte Kontinent auf der anderen Seite gehören würde. Ein Jahr später waren die Brücken verschwunden. Ebenfalls verschwunden waren die Hoffnungen des Xerxes, Europa erobern zu können.

Bei seinem Vormarsch nach Griechenland hinein hatte er Athen erobert. Doch das Niederbrennen der Stadt sollte der Höhepunkt seines Feldzugs bleiben. Niederlagen zu See und zu Land erzwangen den Rückzug der Perser. Xerxes selbst kehrte nach Asien zurück. Am Hellespont, wo das Kommando über die Meerenge einem General namens Artayktes übertragen worden war, herrschte verschärfter Alarmzustand. Artayktes war sich darüber im Klaren, dass er nach den Katastrophen in Griechenland besonders exponiert war.

Die Griechen sahen in Persien die Heimat der Folter

Und was er befürchtete, trat ein: Im Spätsommer das Jahres 479 kamen mehrere athenische Schiffe den Hellespont hinaufgesegelt. Als sie am Hundeschwanz anlegten, verschanzte Artayktes sich zunächst im nächstgelegenen Stützpunkt. Dann, nach einer längeren Belagerung, wagte er, begleitet von seinem Sohn, einen Ausbruch, um sich in Sicherheit zu bringen. Trotz einer erfolgreichen Flucht mitten in der Nacht kamen sie nicht weit. Vater und Sohn wurden gefasst und in Ketten zum Hundeschwanz zurückgeschleift.

Es war eine unmissverständliche Botschaft der Athener, dass sie Artayktes genau an dem Punkt hinrichteten, wo Xerxes zuerst europäischen Boden betreten hatte. Tom Holland erläutert: „Den Diener des Großkönigs zu demütigen war gleichbedeutend mit der Demütigung des Großkönigs selbst. Die Griechen, die lange im Schatten Persiens gestanden waren, hatten gute Gründe, Persien als Heimat ausgeklügelter Foltermethoden zu sehen. Denn die Perser waren die ersten gewesen, die Kriminelle an Pfählen oder Kreuzen öffentlich auszustellen pflegten. Quelle: „Herrschaft“ von Tim Holland

Von Hans Klumbies