Die Kugelform der Erde ist seit 2500 Jahren bekannt

Schon zu Lebzeiten des großen Denkers Aristoteles war die griechische Welt größtenteils von der Kugelgestalt der Erde überzeugt. Eine Generation davor war die Vorstellung einer kugelförmigen Erde zwar auch schon weit verbreitet, aber die Dinge waren noch nicht so klar. In seinem „Phaidon“ lässt Platon Sokrates sagen, er glaube, die Erde sei rund, nicht ohne hinzuzufügen, er könne dies nicht überzeugend beweisen. Diese Passage im „Phaidon“ ist das älteste bekannte Zeugnis für die Akzeptanz einer kugelförmigen Erde. Platon und Aristoteles können klar unterscheidet zwischen glauben und etwas mit überzeugenden Argumenten beweisen. Carlo Rovelli denkt, dass ein durchschnittlich gebildeter Student von der Kugelgestalt der Erde überzeugt ist. Doch er bezweifelt, dass dieser einen direkten und überzeugenden Beweis für diese Überzeugung anführen kann. Carlo Rovelli ist seit dem Jahr 2000 Professor für Physik in Marseille.

Die Sterne kreisen um den Polarstern

Der „Phaidon“ ist einer der meistgelesenen, meistkommentierten und meistdiskutierten Texte in der Geschichte des Denkens. Doch die meisten Leser konzentrieren sich auf die Unsterblichkeit der Seele. Dabei bemerkten sie nicht, dass der Text eine wahre Perle der Wissenschaftsgeschichte enthält. Es handelt sich dabei um die erste schriftliche Erwähnung der neuen Form, welche die Welt gerade im Begriff ist anzunehmen. Dieses Übersehen ist ein klares Zeichen für den heutigen Abgrund zwischen der humanistischen und naturwissenschaftlichen Kultur, die beide auf überhebliche Weise füreinander blind sind.

Anaximander gebührt der Ruhm, die erste kosmologische Revolution ausgelöst zu haben. Aber wie ist es ihm gelungen zu begreifen, dass sich unter der Erde der Himmel fortsetzt? An Indizien mangelt es ja nicht. Die Sonne geht jeden Abend im Westen unter und jeden Morgen im Osten wieder auf. Wie gelangt sie im Lauf der Nacht von Westen nach Osten? Carlo Rovelli rät, auch an den Polarstern zu denken. In einer klaren Sommernacht sieht man, wie alle anderen Sterne langsam und majestätisch um ihn kreisen, während er wie ein Punkt auf einer Drehachse stillsteht.

Unter der Erde gibt es einen leeren Raum

Die Sterne, die dem Polarstern am nächsten sind, zum Beispiel diejenigen des Kleinen Bären, drehen sich langsam um ihn und vervollständigen ihren Kreis in 24 Stunden. Sie sind stets am Himmel zu sehen, wenn man nicht vom Sonnenlicht geblendet wird. Die weiter entfernten Sterne legen, ebenfalls in 24 Stunden, eine geschlossene Kreisbahn zurück. Die Größe der Kreisbahn steigt mit zunehmender Entfernung vom Polarstern, bis die Sterne im Norden den Horizont zu streifen scheinen.

Manchmal sieht es so aus, als verschwänden Sterne hinter einem Berg, um kurze Zeit später ein wenig weiter im Osten wieder aufzutauchen. Offenbar sind sie hinter dem Berg durchgezogen. Und diejenigen Sterne, die etwas weiter vom Polarstern entfernt sind, müssen auch hinter irgendetwas verschwinden, bevor sie wieder auftauchen. Damit das möglich ist, muss es da unten einen Raum geben, den sie durchqueren können. Wenn sie unter der Erde hindurchziehen, muss es darunter leeren Raum geben. Quelle: „Die Geburt der Wissenschaft“ von Carlo Rovelli

Von Hans Klumbies