Der Tod ist nicht tragisch

Gibt es tragische Phänomene? Das hängt davon ab, was man als tragisch bezeichnet. Ágnes Heller stellt fest: „Der Tod ist nicht tragisch, denn wenn er es wäre, wären wir alle tragische Helden.“ Sokrates ist kein tragischer Held, Christus wurde nie als tragisch angesehen. Leiden ist nicht tragisch. Man spricht heute von einem tragischen Tod, wenn ein junger Mann bei einem Autounfall getötet wird oder Selbstmord begeht. Man empfindet Mitgefühl für einen gefallenen Soldaten oder einen verratenen Liebhaber, ohne ihr Schicksal als tragisch zu bezeichnen. Ágnes Heller, Jahrgang 1929, war Schülerin von Georg Lukács. Ab 1977 lehrte sie als Professorin für Soziologie in Melbourne. 1986 wurde sie Nachfolgerin von Hannah Arendt auf deren Lehrstuhl für Philosophie an der New School for Social Research in New York. Ágnes Heller starb am 19. Juli 2019 in Ungarn.

Das komische Phänomen ist universell

Was man als „Tragödie des Lebens“ bezeichnet, wie es schon Platon tat, bezieht sich nicht auf bestimmte tragische Untergattungen. Sondern es handelt sich dabei um traurige Geschichten. In diese fühlt man sich tatsächlich ein, indem man sich an die Stelle derjenigen setzt, deren Geschichte man gesehen oder gelesen hat. Ágnes Heller erklärt: „Unsere Reaktionen können unterschiedlich sein und sich nicht unbedingt kathartisch. Sie reichen von Empathie, Weinen über das Lernen einer Lektion bis hin zu Häme.“

Die beiden Arten des Dramas – Komödie und Tragödie – stehen nicht nur in verschiedener, sondern auch in entgegengesetzter Beziehung zu den anthropologischen Universalien. Die Tragödie reinigt die Menschen von ihnen, die Komödie manifestiert sie. Ausgehend davon, könnte man annehmen, dass das komische Phänomen universell und überall präsent ist. Dagegen kann die Tragödie nur in ganz bestimmten historischen Zeiten in ganz bestimmten Kulturen auftreten.

Griechische Götter betrügen

Denn die Tragödie verkörpert weder eine universellen anthropologischen Zustand. Sie ruft auch nicht eine universelle Antwort auf sogenannte tragische Ereignisse hervor. Die Tragödie ist ein europäisches Genre, das die europäische Szene nur zweimal beherrschte. Nämlich im antiken Griechenland und in der frühen Neuzeit. Mythen, diese Legenden polytheistischer Kulturen, sind überall zu finden. Sie kommen in allen Teilen der Welt und den Traditionen aller Menschen vor.

Ágnes Heller betont: „Mythen können nicht tragisch sein, da Götter unsterblich sind und alle Geschichten in verschiedenen Formen und Variationen erscheinen.“ Ebenso wenig sind Märchen tragisch, und das nicht nur, weil sie normalerweise ein Happy End haben. Homers große Gedichte sind nicht tragisch, kein Epos ist tragisch. Die Helden der biblischen Geschichte sind an die Abfolge der Erlösungsgeschichte gebunden. Ihr Leben und ihr Schicksal dienen einem göttlichen Zweck. Sie werden von Gott gerettet. Gott ist gerecht, er betrügt nie, wie es griechische Götter tun. Quelle: „Vom Ende der Geschichte“ von Ágnes Heller

Von Hans Klumbies