Unvorhersagbarkeit ist potenziell gefährlich

Viele Menschen haben Angst vor der Dunkelheit, da sie nicht wissen, was sich in ihr verbirgt. Julia Shaw weiß: „Es ist das Unvorhersehbare, vor dem wir uns fürchten. Bei Menschen, die anders denken als wir, fragen wir uns, was sie als nächstes tun werden. Wir können ihre Gedanken und erst recht ihre Denkweise nicht verstehen.“ Die meisten Menschen mögen diese Art von Unvorhersagbarkeit nicht. Ordnung und Kontrolle vermitteln ein Gefühl der Sicherheit. Unvorhersagbarkeit ist potenziell gefährlich. Dass viele Menschen psychische Erkrankungen stigmatisieren, ist nichts Neues, doch es ist ein hartnäckiges, verheerendes Vorurteil. Eine der auffälligsten Verhaltensweisen, die sie gegenüber psychisch Kranken an den Tag legen, ist, Abstand zu ihnen zu wahren: sowohl sozial als auch psychisch. Julia Shaw forscht am University College London im Bereich der Rechtspsychologie, Erinnerung und Künstlicher Intelligenz.

Es gibt kaum etwas Extremeres als Amok laufende Kinder

Einige Forscher vertreten die Auffassung, dass das Stigma, mit dem psychisch Kranke belegt werden, als eine „zweite Krankheit“ betrachtet werden kann. Wegen der Art, wie sie von anderen behandelt werden, leiden psychisch Kranke oft auch unter gesteigerter Angst und vermehrtem Stress und haben eine geringere Lebensqualität. Selbst Kinder, die scheinbar „anders“ sind, werden manchmal für gefährlich gehalten. Auf der anderen Seite gibt es kaum etwas Extremeres als Kinder, die tatsächlich Gewalt ausüben, indem sie etwa an Schulen Amok laufen.

Die meisten Amokläufer, die in der Regel Jungen sind, leiden an ernsthaften psychischen Problemen, einschließlich Schizophrenie, klinische Depression und Persönlichkeitsstörungen. Forscher stellten jedoch auch fest, dass es eine Reihe anderer Risikofaktoren gab, von denen aber keiner für besonders problematisch gehalten wurde. Trotz ihrer Nähe zu den Todesschützen glaubten weder die Eltern noch ihre Lehrer, dass bei diesen Personen ein hohes Risiko bestand, gewalttätig zu werden, schon gar nicht auf so verheerende Weise, wie es dann geschah.

Die Psyche von Gewaltopfern wird enorm belastet

Obwohl Amokläufe an Schulen, vor allem in den Vereinigten Staaten, zu oft geschehen, sind sie statistisch gesehen noch immer eine Seltenheit. Das macht es schwierig, sie zu analysieren und genau zu verstehen, was Kinder zu diesen entsetzlichen Entscheidungen verleitet. Doch erste Untersuchungen scheinen darauf hinzudeuten, dass psychische Erkrankungen nicht der Hauptgrund sind; sie sind vielmehr Teil einer ganzen Reihe von Problemen wie Isolation, Mobbing, fehlende elterliche Unterstützung, Drogenmissbrauch und leichter Zugang zu Waffen.

Julia Shaw erläutert: „Wenn wir über das Böse sprechen, ergreifen wir normalerweise Partei für das Opfer und sehen den Schaden aus dessen Perspektive.“ Das Opfer von Gewalt zu werden, kann enorm belastend sein. Wenn ein Täter die Tat, wie vom Opfer wahrgenommen, tatsächlich genießt, dann tut sich eine unüberbrückbare Kluft auf. Hier hat man es dann wirklich mit dem zu tun, was man das Böse nennt. Quelle: „Böse“ von Julia Shaw

Von Hans Klumbies