Vor allem an der Schönheit entzündet sich die erotische Liebe

In seinem Buch „Über die Liebe“ beschreibt der deutsche Philosoph Josef Pieper im achten Kapitel was er unter Eros und der erotischen Liebe versteht. Seine Ausführungen beginnt er beim griechischen Denker Platon, für den die erotische Liebe etwas der dichterischen und überhaupt der musischen Begeisterung und Entrückung Verwandtes und ein Herausgenommenwerden aus der Normalität des alltäglichen Daseins. Ortega y Gasset bezeichnet die Verliebtheit dagegen als eine Anomalie der Aufmerksamkeit. Aber die Verliebtheit ist für Josef Pieper nicht schon die Liebe, sondern allenfalls der Beginn davon. Die erotische Liebe selbst ist vor allem eine Art Hingerissenheit und Entzückung, was buchstäblich so viel bedeutet wie mit Macht aus dem gewöhnlichen Zustand hinweggezogen zu sein. Die Verliebten sind einfach hin und weg. Dieses entzückte Hinaustreten aus der Normalität des werktäglichen Gleichmaßes trägt sich ferner in der Begegnung mit leibhaftiger Schönheit zu.

Die erotische Liebe öffnet den Daseinsraum

An der Schönheit vor allem entzündet sich die erotische Liebe. Wenn Verliebte sinnliche Schönheit erfahren, werden sie auf etwas verwiesen, das gar nicht einfachhin anwesend und vorfindbar ist. Josef Pieper konkretisiert diesen Sachverhalt: „Was uns widerfährt, ist nicht eigentlich Befriedigung, sondern eher so etwas wie die Hervorrufung einer Erwartung. Wir werden nicht einer Erfüllung ansichtig oder teilhaftig, sondern eines Versprechens.“ Johann Wolfgang von Goethe hat dies wie folgt formuliert: „Das Schöne ist nicht sowohl leistend als versprechend.“

Es ist aber gerade dieser Charakter des Versprechens der Schönheit, auf den die erotische Liebe antwortet. Paul Claudel hat das in folgendem Satz treffend ausgedrückt: „Die Frau ist das Versprechen, das nicht gehalten werden kann: aber eben hierin besteht meine Gnade.“ Den gleichen Sachverhalt beschreibt C. S. Lewis so: „Eros verspricht etwas, das er selber nicht zu geben vermag.“ Josef Pieper fasst zusammen: „Was sich also in der erotischen Liebe ereignet, ist gerade nicht Befriedigung im kompakten Sinn des Wortes, sondern: Öffnung des Daseinsraums auf eine unendliche Stillung hin, die hier gar nicht zu haben ist.“

Die heroische Gestalt der Liebe ist etwas Seltenes

Den Verliebten wird in aller erotischen Erschütterung und Entzückung etwas zugänglich, das über das anscheinend Gemeinte unendlich hinausgeht. Selbstverständlich ist in der erotischen Liebe von Mann und Frau die Sexualität ständig präsent, und auch die geschlechtliche Vereinigung liegt immer innerhalb des Blickfeldes. Dennoch ist die spezifische erotische Qualität der Beziehung von völlig anderer Art. Johann Wolfgang von Goethe schreibt in „Dichtung und Wahrheit: „Die Natur scheint zu wollen, dass ein Geschlecht in dem anderen das Gute und Schöne sinnlich gewahr werde.“

Und so war dem deutschen Dichterfürsten durch den Anblick eines Mädchens, durch seine Neigung zu ihr eine neue Welt des Schönen und Vortrefflichen aufgegangen. Als romantische Übersteigerung könnte man folgenden Satz von Paul Claudel auffassen: „Die menschliche Liebe ist nur schön, wenn sie nicht von der Befriedigung begleitet wird.“ Auch Platon weiß sehr wohl, dass die heroische Gestalt der Liebe etwas Seltenes ist, das dem Durchschnittsmenschen nicht einfachhin abverlangt werden kann. Quelle. „Über die Liebe“ von Josef Pieper

Von Hans Klumbies