Volker Gerhardt entwirft eine Philosophie der Demokratie

Von der ersten Demokratie in Athen bis zu den Vereinten Nationen beschreitet Volker Gerhardt in seinem neuen Buch „Individuum und Menschheit“ einen langen Weg durch die Weltgeschichte. Lange bevor es die erste Demokratie gegeben hat, gab es ihre Definition als politische Ordnung, in der die Freiheit eines jeden mit seiner Gleichheit vor dem Gesetz verbunden ist. Der Einzelne wurde als Individuum anerkannt und galt zugleich als Ursprung eines gemeinschaftlichen Ganzen. Dieses umfasst letztlich alle Menschen und gewinnt seine Einheit durch nichts Geringeres als das Recht. Doch die Demokratie blieb in der langen Zeit ihres Bestehens umstritten und gefährdet. Und es scheint, als stehe sie auch in der Gegenwart vor einer weiteren großen, vielleicht sogar vor ihrer ultimativen Bewährungsprobe. Volker Gerhardt lehrte bis 2012 als Professor für Philosophie an der Humboldt-Universität Berlin. Dort ist er auch weiterhin als Seniorprofessor tätig.

Philosophie und Demokratie sind miteinander verbunden

Volker Gerhardt versucht zu zeigen, wie dieses politisch durch nichts überbotene Modell der Demokratie mit dem Selbstverständnis des Menschen verbunden ist. Dabei geht es auch um den Anspruch, den Menschen an die Politik stellen, sobald sie sich selbst ernst nehmen. Dieser Anspruch wird nicht erst in der Moderne erhoben. Er kommt historisch bereits mit der Entstehung der Philosophie auf. Denn die Philosophie gibt wegweisende Impulse, zunächst durch das eigenständige Denken, dann durch ihr Beharren auf Erziehung, Wissen und Kritik.

Es lässt sich mit guten Gründen sagen, dass Philosophie und Demokratie historisch und systematisch miteinander verbunden sind. Unter dem Einfluss des Humanismus und der Aufklärung entwickelt sich daraus eine innere Bindung des individuellen Selbstbegriffs an die Ansprüche und Verfahren der Demokratie. Denn die Demokratie ist die einzige Staatsform, die sich auf das ursprüngliche Recht des Menschen gründet, frei und gleichberechtigt zu sein.

Die Verantwortung für die Politik liegt bei allen Menschen

Der „homo politicus“ kann von sich sagen, dass er ein rationales und zugleich ein soziales und moralisches Wesen ist. Volker Gerhardt schreibt: „Der politische Mensch hat vielmehr den Anspruch, gleichberechtigt und in seinen individuellen Fähigkeiten so anerkannt zu sein, dass er die reale Chance hat, selbstbestimmt am gesellschaftlichen Ganzen mitzuwirken.“ Das ist ein zentraler, aber längst nicht alle Frage einer Demokratietheorie abdeckender Aspekt des vorliegenden Buches „Individuum und Menschheit“.

Die nun schon seit mehr als 2500 Jahren bestehenden Konzeptionen von Demokratie und Republik sehen die Verantwortung für die Politik nicht nur bei einzelnen Menschen und einem kleinen Kreis ihrer Vertrauten, sondern letztlich bei allen Menschen, die von ihr betroffen sind. Volker Gerhardt betont: „Und erst damit kommt es zur Profilierung des homo politicus.“ Schon Platon gelangte zu der Einsicht, dass die Politik eine Leistung des Menschen ist und allein von ihm verantwortet werden muss.

Individuum und Menschheit
Eine Philosophie der Demokratie
Volker Gerhardt
Verlag: C. H. Beck
Gebundene Ausgabe: 351 Seiten, Auflage: 2023
ISBN: 978-3-406-76536-0, 36,00 Euro

Von Hans Klumbies