Geschmack ist die weibliche Form des Genius

Geschmack bezeichnete F. Scott Fitzgerald – ganz Gentleman der alten Schule – als die weibliche Form des Genius. In diesem Sinne wäre die Boutiquisierung der Kultur – folgte man dem Machismo Fitzgeralds – auch ein Erfolg der weiblichen Emanzipation. Ulf Poschardt erklärt: „Die Kultur wird metrosexuell. Vielleicht überlebt das Buch am Ende nur am Coffeetable und das Tanztheater nur in Modeschauen.“ Die Organisation und Reproduktion von Lebensstilen verlangen als Mündigkeitsanstrengung vor allem „kulturelles Kapital“, wie das Pierre Bourdieu vermutet. Kurz vor dem Eintritt in die Zwanzigerjahre des 21. Jahrhunderts hat der Postmaterialismus die Mündigwerdung reidealisiert und dabei auch die Rollenbilder verschoben. Die Klimabewegung Fridays for Future trat 2019 als eine extrem weibliche Protestbewegung hervor. Seit 2016 ist Ulf Poschardt Chefredakteur der „Welt-Gruppe“ (Die Welt, Welt am Sonntag, Welt TV).

Fridays for Future treibt die Politik vor sich her

Fridays for Future nutzt alle Facetten zeitgenössischer Selbstdarstellung. Damit kann sie nicht nur Teile der Politik vor sich hertreiben, sondern auch ein paar erregbare kulturelle Eliten und Subkulturen. Sie hat als sehr junge und weibliche Bewegung die politische Kultur des Westens zwangsaktualisiert. Ihre Heldinnen sind Heldinnen der Selbstdarstellung und der Selbsttechnik gleichzeitig. Sie sind Rollenbilder und zugleich radikale Vordenkerinnen, die sich längst nicht mehr fragen, warum sie Staatschefs und Präsidenten, CEOs und Investoren vor sich hertreiben.

Ulf Poschardt stellt fest: „Sie sind in dieser Hinsicht prämündig: mündig zu einem Zeitpunkt ihrer Biographie, an dem diese eigentlich jede Menge Freiräume zur Unmündigkeit konzediert.“ Junge Frauen entscheiden sich für eine frühe, zum Teil heroische Mündigkeit. Sie tun das, weil sie weder die erwachsenen Politiker noch die Generation ihrer Eltern für ausreichend mündig halten beziehungsweise wahrnehmen. Greta Thunberg und Luisa Neubauer agieren radikal marktmoralwirtschaftlich.

Greta Thunberg ist eine der wertvollsten globalen Marken

Wie jeder Markt ist auch der Demonstrationsmarkt gerecht. Mobilisieren können nur die konsequentesten, weil marktgängigsten Konzepte. Greta Thunberg ist eine der wertvollsten globalen Marken. Sie kann nur so erfolgreich sein, weil sie und ihre nationalen Luisas eine Sinn- und Genusskrise im globalisierten Kapitalismus freigelegt haben. Die Aktivistinnen sind Role Models für eine Generation, die mit berechtigten Anliegen für eine lebenswertere Umwelt auch jene Staatsbürger erreicht, die mündigkeitsbegabt sind.

Wer die Demonstrationen verfolgt, sieht dort zigtausende mündige Konsumenten, politisch verrannt, aber dabei den Kapitalismus von innen verändernd. Gegen die lustvoll regredierenden Eltern in ihren zerrissenen Jeans und den bunten T-Shirts setzten die Kinder und Jugendlichen einen Ernst, der etwas Bizarres hat. Greta Thunberg, so staunte die linke „Jungle World“, die die Vertreterin einer Generation, „die, anstatt gegen die Regeln der Erwachsenen zu verstoßen, diesen noch mehr Regeln diktiert als umgekehrt“. Quelle: „Mündigkeit“ von Ulf Poschardt

Von Hans Klumbies