Alltäglich machen die Bürger die Erfahrung, dass sich ein europäisches Gemeinschaftsgefühl eben weder aus Brüssel anordnen noch sonst von wem befehlen lässt. Es müsste wachsen. Thea Dorn ergänzt: „Manche Zeitgenossen sehen den elegantesten und friedlichsten Ausweg aus der Misere, indem sie für ein „Europa der Regionen“ plädieren, nach der Devise: Das Herz mag sich seiner jeweiligen Heimatregion erfreuen, für den Kopf – und den Geldbeutel – schaffen wir die „Vereinigten Staaten von Europa“, und die Nationalstaaten, die dieses Projekt verhindern, räumen wir schlicht aus dem Weg.“ Thea Dorn zitiert anschließend den österreichischen Philosophen Karl Popper, der am Ende des ersten Bandes „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde geschrieben hat: „Unser Traum vom Himmel lässt sich auf Erden nicht verwirklichen.“ Thea Dorn studierte Philosophie und Theaterwissenschaften. Sie schrieb eine Reihe preisgekrönter Romane, Theaterstücke und Essays.
Die Familie ist selten ein Hort des zivilen Miteinanders
Karl Popper fährt fort: „Für die, welche vom Baum der Erkenntnis gekostet haben, ist das Paradies verloren. Je mehr wir versuchen, zum heroischen Zeitalter der Stammesgemeinschaft zurückzukehren, desto sicherer landen wir bei Inquisition, Geheimpolizei und romantisierten Gangstertum.“ Ferdinand Tönnies weist darauf hin, dass die Gemeinschaft und also auch die Region ihre heiklen Wurzeln im Stammesdenken haben. Thea Dorn ist es schleierhaft, wie man als denkender Mensch ernsthaft hoffen kann, eine Beförderung von Stammesdenken führe dazu, den Bürger für das Ideal einer „Republik Europa“ zu begeistern.
Unbestritten bleibt: Die meisten europäischen Nationalstaaten haben in ihren jeweiligen Vergangenheiten entsetzliche Blutbäder angerichtet. Aber wer sich in der Welt und in der Geschichte umschaut, wie kann derjenige davon träumen, dass es überall dort, wo Stammesgemeinschaften das Sagen haben, friedlicher zuginge? Auch als karthatisch begeistere Leserin und Zuschauerin der antiken Tragödien wäre es Thea Dorn neu, dass die Familie der Hort des zivilen Miteinanders ist.
Der Weg in die Regionen befeuert Abschottungsfantasien
Der Weg hinunter zu den Stämmen oder hinein in die Regionen führt in keiner magischen Gegenbewegung gleichzeitig hinauf ins Freie, hinaus ins Offene, sondern befeuert Abschottungsfantasien, während im Innern dieser gemütlichen Bölleröfen die Sehnsucht nach kultureller Homogenität zu lodern beginnt. Warum erkennen viele Bürger nicht an, dass der liberal verfasste, kulturell nicht beliebige, aber dennoch heterogene Nationalstaat – einstweilen zumindest – das beste Gehäuse für unser gemeinschaftlich-gesellschaftliches Leben darstellt?
Einerseits kann er das Bedürfnis nach einer Wir-Identität befriedigen, andererseits lehrt er Offenheit, Toleranz und Rechtsstaatlichkeit. Der Philosoph Bernhard Waldenfels hält an einem mehrstimmigen Europa fest, wenn er den Epilog von „Sozialität und Alterität“ mit der Einsicht beschließt: „Es kann nicht darum gehen, ein neues europäisches Walhalla zu errichten, sondern es kommt darauf an, sich durch den Geist der Freiheit anstacheln und anstecken zu lassen, woher er auch kommen mag.“ Quelle: „deutsch, nicht dumpf“ von Thea Dorn
Von Hans Klumbies