Mit der griechischen Entdeckung des eigenständigen Denkens als einem hohen Wert beginnt auch die Geschichte der Schulung des Denkens. Dafür werden eigens Institutionen geschaffen. Für Silvio Vietta ist das ein erstes wichtiges Beispiel, wie sich ein geistiger Wert materialisiert und institutionalisiert. Das macht selbst einen großen Teil der Bildungsgeschichte des Abendlandes aus. Zugleich entsteht durch diesen Wert eine neue soziale Schicht. Nämlich die Philosophen-Wissenschaftler als erste Lehrer. Silvio Vietta nennt sie in einem Wort, weil Philosophie und Wissenschaft in der Antike noch nicht getrennt waren wie in der Neuzeit. Der neben Aristoteles größte Denker der Antike, Platon, gründete bereits eine Akademie vor den Toren Athens. Prof. em. Dr. Silvio Vietta hat an der Universität Hildesheim deutsche und europäische Literatur- und Kulturgeschichte gelehrt.
Im Mittelalter entstehen die ersten Universitäten
In der Akademie trafen sich lernwillige Jünglinge aus der Schicht der Athener Vollbürger. Neben dem traditionellen Musenkult lasen und diskutierten sie dort auch Platons Dialoge. Dadurch übten sie sich in jene Logik der Argumentation ein, die diese Dialoge vorführen. Die Akademie war also noch keine öffentliche Schule, sondern eher ein privater Gelehrtenverein. Er existierte gleichwohl von 387 v. Chr. bis 529 n. Chr. Der christliche Kaiser Justinian löste diese Institution auf.
Im Mittelalter wird die Tradition der Akademie wieder aufgenommen und um „christliche Wissensbestände“ erweitert. Einer der herausragenden Lehrer seiner Zeit war Alkuin am Hofe Karls des Großen. Im 13. Jahrhundert entstehen dann die ersten Universitäten. Dazwischen dienten Klöster als Lese- und Schreibschulen. Sie überliefern das antike Wissen der Philosophie und Wissenschaften und geben es weiter. Die neue Universität ist das Produkt eines neuen städtischen Selbstbewusstseins und ihrer Korporationen.
Zuerst dominieren christliche Werte an den Universitäten
Die Universität ist auch das Produkt des Fortlebens der antiken Tradition des eigenständigen Denkens im christlichen Kulturraum und unter der Dominanz christlicher Werte. Mit der Gründung der Universität meldet sich im Rahmen der christlichen Werteordnung die antike Tradition des Selbstdenkens, logischen Argumentieren und geistigen Studiums wieder zu Wort. Es sind zunächst vor allem städtische Kleriker, die sich zur neuen Korporationsform eines „studium generale“ zusammenschließen.
Dabei steht die Anerkennung des Papstes und der Kirche als oberster Macht für den offiziellen Status von Universitäten im Mittelalter zunächst außer Frage. Die Universitäten – so die von Paris – siedeln sich auch im Umfeld der Kathedrale an. Lehre und Wissenschaft haben zunächst den Status eine kirchlichen Wissenschaft und Lehre. Im Bannkreis der Kirche und ihrer Zentrierung des Glaubens entsteht also die neue europäische Universität. Der Kampf der Universitäten um Autonomie und Selbstbestimmung gegen die Kirche wie auch gegen die weltlichen Gewalten sollte noch lange währen. Quelle: „Europas Werte“ von Silvio Vietta
Von Hans Klumbies