Wer in einem Gemeinwesen die verschiedensten Interessen austarieren möchte, der hat nur eine Versuchsanordnung: die liberale Demokratie. Roger de Weck fordert: „Sie muss laufend weiterentwickelt und jetzt renoviert werden, um auch weiterhin zweckdienlich zu sein.“ Aber der Grundgedanke bleibt bestehen. Ihre sämtlichen Einrichtungen dienen dem Zweck, unnötige schwere Konflikte in der Gesellschaft zu vermeiden oder zu vermindern. Das ist das große Potenzial der liberalen Demokratie. Derzeit schöpft sie es schlechter aus, als es ihr in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg gelang. Jederzeit ruft jede politische Ordnung Frust hervor. Aber der ist alles in allem kleiner, wenn an die Stelle der Menschenverachtung die Menschenwürde tritt. Wenn man Minderheiten einbezieht statt ausgrenzt und ein Rechtsstaat vor Willkür schützt. Roger de Weck ist ein Schweizer Publizist und Ökonom.
Radikale dulden keine Kompromisse
Darf die Staatsmacht weder die Meinungen noch die Medien zensieren, steigt auf jeden Fall die Wahrscheinlichkeit, dass man grobe Missstände behebt. Wiewohl dies in der Regel zu langsam geschieht. Die Aufklärung ist das politische Erbe der liberalen Demokratie, glasklar definiert, aktuell wie eh und je. Wer dieses friedensstiftende Erbe ausschlägt, also die Konflikte in der Gesellschaft zuspitzt, der muss früher oder später repressiv werden. Diese Menschen brauchen, lieben und wollen den Konflikt.
Radikale dulden keine Kompromisse, denn sie sehen nur „faule Kompromisse“. Und derlei Autoritäre wirken stets „in Volkes Namen“, „im Auftrag der Nation“ oder im abendländischen „Überlebenskampf“. Dabei geben sie sich als gute Demokraten aus, ihr Feindbild ist ja „bloß“ die liberale Demokratie. Denn sie ist die einzige, die Vorkehrungen gegen das Autoritäre trifft. Zudem eröffnet sie den Opfern staatlicher Willkür die Möglichkeit, sich zu wehren.
Reaktionäre stiften Verwirrung
Reaktionäre lassen das nicht gelten. Bewusst stiften sie Verwirrung, indem sie die Dinge auf den Kopf stellen. Als Donald Trump Anfang 2017 das Amt des Präsidenten der Vereinigten Staaten antrat, sprach er folgendes: „Der 20. Januar 2017 wird in Erinnerung bleiben als der Tag, an dem das Volk wieder zum Gebieter über diese Nation wurde.“ Das Volk ist Donald Trump. Dies war eine Kampfansage an die fünf Instanzen, die seine Macht einschränken – Parlament, Justiz, Zentralbank, Medien und internationale Organisationen.
Donald Trump arbeitet seither an seiner illiberalen Demokratie. Mit Notrecht umgeht er den Kongress. Er verleumdet Richter und Staatsanwälte. Vor Anhörungen zum Impeachment versucht er, Belastungszeugen einzuschüchtern. Er belehrt und bedrängt die unabhängige Notenbank Federal Reserve. Qualitätsmedien wertet er als „Fake News“ ab. Er zermürbt internationale Instanzen wie die Welthandelsorganisation (WTO). Und beruft sich auf das amerikanische Volk: auf sich selbst. Quelle: „Die Kraft der Demokratie“ von Roger de Weck
Von Hans Klumbies