Die Sehnsucht nach Intensität ist groß

Das Titelthema des Philosophie Magazins 04/2021 beschäftigt sich diesmal mit dem Zustand der Intensität, der die Menschen aus der Profanität des Alltags heraushebt. Für Chefredakteurin Svenja Flaßpöhler wohnt im Heiliges inne, und ein gehöriges Maß an Unverfügbarkeit ist ihm gegeben. In der heutigen Zeit ist die Sehnsucht nach Intensität groß. Die Menschen wollen sich spüren, die Existenz auskosten, sie auf keinen Fall verpassen. Doch wäre nichts fataler, als dem modernen Imperativ: Lebe intensiv! Einfach nur blindlings zu folgen. Denn das Streben nach intensivem Genuss widerspricht dem Ratschlag der Vernunft fundamental. Ab einem gewissen Punkt schlägt die Steigerung der asketischen Vernunft jedoch selbst in Irrationalität um. Hochproblematisch wird es spätestens dann, wenn das ursprüngliche Streben nach Glück völlig vergessen wird. Das Leben verliert dann seine Richtung, sein Wofür.

Das Finanzsystem ist demokratisch nicht kontrollierbar

Wenn die Überschreitung keinen Ort und keine Zeit mehr hat, geht für den Philosophen Robert Pfaller die Geselligkeit verloren. Denn bestimmte Freuden und Genüsse, und zwar keineswegs nur die extrem ausgefallenen oder riskanten, benötigen die Geselligkeit. Der Einzelne muss jedoch nicht jedes Risiko eingehen, kann aber auch grundsätzlich nicht jedes vermeiden. Für einen Menschen, der jeglichem Risiko aus dem Weg geht, ist das Leben zwar nicht vorbei, aber es ist kein Leben mehr.

Die Juristin Katharina Pistor stellt die These auf, dass das Finanzsystem demokratisch nicht kontrollierbar ist. Denn die Regeln des globalen Finanzkapitalismus werden von einer Handvoll amerikanischer und britischer Anwaltskanzleien geschrieben. Im Fall der letzten Finanzkrise führte die Komplexität und Raffinesse, mit der Finanzprodukte gebaut wurden, zunächst zu zwei Dingen. Zum einen entstand der Glaube, dass diese komplizierten Produkte auch irgendwie richtig und sicher sein müssten. Zum Zweiten folgte darüber hinaus auch die Unfähigkeit vieler zu sehen, wo die Risiken liegen.

Frederica Gregoratto untersucht die Polyamorie

Frederica Gregoratto stellt im neuen Philosophie Magazin „Elf Thesen zur Polyamorie“ auf. Mehrere Menschen gleichzeitig zu lieben ist heikel. Und dennoch wird die Polyamorie immer populärer, obwohl sie ein kräftezehrendes Unterfangen ist. Es gibt keine Garantie für einen glücklichen Verlauf. Die dunklen Seiten der Verletzlichkeit lassen sich mit polyamourösen Praktiken nicht einfach ausblenden. Dazu zählt Frederica Gregoratto Macht, Unterdrückung und Ausbeutung. Nicht immer geht Verletzlichkeit mit Liebe einher, oft auch mit Lieblosigkeit.

Als „Klassiker“ tritt diesmal William James auf. Der Begründer des Pragmatismus riet: „Nicht zaudern, sondern sich in radikaler Hoffnung, im Willen zum Glauben üben. Zum Besten handeln, das Beste hoffen und nehmen was kommt.“ Er vertrat die Ansicht, dass man keinen vernünftigen Schritt in diesem Leben vorankommt, ohne dabei das Vorhandensein von Tatsachen vertrauensvoll zu erhoffen. Selbst dann, wenn man über deren Gegebenheit noch nichts weiß. Dies gilt vor allem in Zeiten höchster Krise und Ratlosigkeit.

Von Hans Klumbies