Das neue Philosophie Magazin 02/2020 beschäftigt sich in seinem Titelthema mit der Frage „Eigentum verpflichtet – aber wozu?“. Mit Blick auf die utopische Literatur wird deutlich: Sammelt sich das Privateigentum in den Händen weniger, wird es zu einer illegitimen Quelle von Herrschaft. Zum anderen wird aber auch klar, dass diese kollektiven Gesellschaftsentwürfe wie Platons „Politeia“, Thoma Morus´ „Utopia“ oder Tommaso Campanellas „Der Sonnenstaat“ keineswegs herrschaftsfrei daherkommen. Ganz im Gegenteil werden bestimmte Gruppen und ihre spezifischen Fähigkeiten mit Macht ausgestattet. Die Frage nach den Grenzen des Privateigentums ist heutzutage aktueller denn je. Denn die 45 reichsten Haushalte in Deutschland besitzen derzeit so viel Vermögen wie die ärmere Hälfte der gesamten Bevölkerung. Die Menschen sollten wieder streiten lernen, in welchen Eigentumsverhältnissen sie zukünftig leben wollen.
Autorität kann neuerdings auch weiblich sein
Der französische Starökonom Thomas Piketty schlägt gegen die wachsende Ungleichheit einen partizipativen Sozialismus vor und kritisiert dabei vor allem die „Sakralisierung des Eigentums“. Das Problem besteht nicht auf dem Privateigentum als solchem, sondern vielmehr in der exzessiven Konzentration von Eigentum und Macht in den Händen weniger. Ein partizipativer Sozialismus, wie ihn Thomas Piketty vorschlägt, ruht auf zwei Säulen: Bildungsgerechtigkeit und permanente Umverteilung von Eigentum.
Die Philosophin Catherin Newmark plädiert in ihrem neuen Buch „Warum auf Autoritären hören?“ für ein neues Verständnis von Macht. Die Textauszüge machen deutlich, dass Autorität neuerdings auch weiblich sein kann: „Sie ist nicht durch Distanz, Strenge, Gewalt charakterisiert, sondern durch Nähe, Kommunikation, Vertrautheit, Sichkümmern.“ Menschen sind durchaus in der Lage, Dinge oder Menschen zu autorisieren, ihnen also aus freiem Willen Autorität zuzuschreiben.
Schelling betrachtet die Natur als freies und handelndes Subjekt
Die Rubrik „Klassiker“ ist diesmal dem Naturphilosophen Friedrich Wilhelm Joseph Schelling gewidmet. Vor über 200 Jahren kehrte er die Blickrichtung auf die Natur um dache sie als natura naturans, als freies, handelndes Subjekt. Seine Gedanken, die er dem fortschrittseligen Credo des 19. Jahrhunderts entgegenstellte, sind heute, in Zeiten der Klimakrise, auf nahezu unheimliche Weise aktuell. Schelling ist der erste unter den Philosophen der Moderne, der die Natur nicht vom menschlichen Zugriff abhängig sein lässt, sondern ihr eine Freiheit und undurchschaubare Eigensinnigkeit einräumt, die eine tiefe Einsicht in das Wesen allen Lebendigen verrät.
Drei neue Bücher, die das Philosophie Magazin vorstellt, werfen höchst unterschiedliche Blicke auf das deutsche Selbstverständnis der Gegenwart – von angeblich mangelnden Machtbewusstsein bis zur vorbildlichen Erinnerungskultur. Der Zeithistoriker Edgar Wolfrum bezieht sich in seiner Deutschland-Geschichte „Der Aufsteiger“ auf die Zeit seit 1990 und behandelt also eine neuere nationalcharakterbildende Zäsur. Durch die Wiedervereinigung sei Deutschland in die erste Liga der Staatengemeinschaft aufgestiegen, verbunden mit einer unverhofften, nicht bloß wirtschaftlichen, sondern auch außenpolitischer Macht. Dennoch beobachtet der Autor eine Verunsicherung, die sich aus diesem eigentlich komfortablen Status ergibt: Enorme Erwartungen von außen, ein charakteristischer deutscher Selbstzweifel hätten zu einer „Staatsunsicherheit“ geführt – nach außen wie innen.
Von Hans Klumbies