Bei einer Demütigung muss es einen Täter und ein Opfer geben

Menschen wollen nicht nur benutzt werden. Sie weigern sich, bloßes Mittel zu einem Zweck zu sein, den andere bestimmen. Ein Mensch möchte als Zweck an sich beziehungsweise als Selbstzweck betrachtet und behandelt werden. Wird man nicht so behandelt, ist das laut Peter Bieri nicht nur unangenehm. Im Extremfall fühlt sich eine Person missachtet oder sogar vernichtet. Peter Bieri fügt hinzu: „Wenn man uns als Subjekt missachtet oder als bloßes Mittel missbraucht, fühlen wir uns gedemütigt. Demütigung ist die Erfahrung, dass uns jemand die Würde nimmt.“ Der Kern dieser Erfahrung ist Ohnmacht, das heißt fehlende Macht. Peter Bieri studierte Philosophie und Klassische Philologie und lehrte als Professor für Philosophie in Bielefeld, Marburg und an der Freien Universität Berlin.

Ohnmächtige können sich ihre Wünsche nicht erfüllen

Aber nicht jede fehlende Macht ist das, was Menschen in der Regel unter Ohnmacht verstehen. Peter Bieri nennt Beispiele: „Wir haben nicht die Macht, die Bahnen der Planeten zu verändern, Wasser in Wein zu verwandeln oder zu Fuß die Meere zu überqueren.“ Diese Tatsachen erleben die Menschen nicht als Ohnmacht, da sie wissen, dass sie dies nie können werden. Ohnmacht definiert Peter Bieri als das Fehlen einer bestimmten Macht, derjenigen, sich einen Wunsch zu erfüllen. Ganz formal betrachtet gilt für ihn: Immer wenn sich ein Mensch einen Wunsch nicht erfüllen kann, ist er ohnmächtig.

Doch die Ohnmacht, die Menschen in einer Demütigung erfahren, ist für Peter Bieri eine ganz besondere: „Es ist die Unmöglichkeit, einen Wunsch zu erfüllen, der für unser Leben entscheidend ist.“ Und schließlich kann die Ohnmacht darin bestehen, dass man gezwungen wird, gegen Wünsche zu handeln, die zum eigenen Selbstverständnis gehören. Peter Bieri nennt folgende Beispiele: „Einen Freund verraten, etwas Heiliges zu schänden, sich zu einer verhassten Ideologie zu bekennen.“

Die Ohnmacht der Demütigung hat immer mit anderen Menschen zu tun

Eine Ohmacht, die einem Menschen nur zustößt, ist für Peter Bieri noch keine Demütigung. Als Beispiele nennt er ein Erdbeben, eine Hungernot und eine Epidemie, die zwar ohnmächtig machen, aber nicht demütigen. Die Ohnmacht der Demütigung ist seiner Meinung nach auch nicht die Art von Ohnmacht, die man erleben kann, wenn die eigenen Fähigkeiten zu gering sind. Das heißt, wenn man es nicht schafft, ein Hindernis zu überwinden oder eine Aufgabe zu bewältigen. Die Ohnmacht der Demütigung hat immer mit anderen Menschen zu tun.

Für Peter Bieri verlangt die Demütigung, begrifflich betrachtet, eine Täter und ein Opfer. Ein Mensch demütigt einen anderen. Er demütigt ihn, indem er ihn in eine Situation der Ohnmacht bring. Peter Bieri fügt hinzu: „Die Ohnmacht darf nicht unbeabsichtigt und ohne Plan sein.“ Dazu gehört noch die Erfahrung, dass der Täter dem Opfer seine Ohmacht vorführt: dass es ihm demonstriert, wie ohnmächtig es ist. Der Täter errichtet vor den Augen des Opfers eine Mauer, die dessen Leben zerstört.

Von Hans Klumbies