Die erste Theorie der Sinnlichkeit stammt von Aristoteles

Die erste ausgearbeitete Theorie der Sinnlichkeit findet man bei Aristoteles, dem Urahn der meisten heute noch existierenden Wissenschaften. Markus Gabriel nennt ein Beispiel: „Seine Schrift „Über die Seele“ hat mindestens zweitausend Jahre lang das Verständnis der menschlichen Sinnlichkeit geprägt.“ In einer sehr einflussreichen Passage kommt er zu dem vorsichtig formulierten Schluss, dass der Mensch vermutlich fünf Sinne hat: „das Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Tasten“. Die moderne Sinnesphysiologie weiß inzwischen, dass es nicht nur die fünf von Aristoteles postulierten Sinnesmodalitäten gibt. Eine Sinnesmodalität entspricht in erster Annäherung einem der menschlichen Sinne wie zum Beispiel dem Sehen. Seit 2009 hat Markus Gabriel den Lehrstuhl für Erkenntnistheorie und Philosophie der Neuzeit an der Universität Bonn inne und ist dort Direktor des Internationalen Zentrums für Philosophie.

Den Sinnesmodalitäten sind jeweils Sinnesqualitäten zugeordnet

Aber auch der Gleichgewichtssinn, die Hitzeempfindungen, die Propriozeption, also das Erleben der Stellung der Körperteile, und wohl auch die Zeitempfindung kann man als Sinn auffassen. Aufgrund des Zeitsinns merkt ein Mensch, wann es an der Zeit ist, aufzubrechen oder aufzuwachen. Die einzelnen Modalitäten liefern Informationen, die man als Qualitäten erlebt. Den Sinnesmodalitäten sind demnach jeweils Sinnesqualitäten zugeordnet. Man erlebt einen Unterschied zwischen Rot und Grün, zwischen verschiedenen Schattierungen und Tonhöhen, aber auch, wie sich die persönliche Lage im Raum ändert.

Ein einzelnes qualitatives Erlebnis – der Geruch des Kaffees, der vor einem auf dem Tablett im Zug steht; das Blau der Sessel im ICE – nennt man eine Quale, im Plural: Qualia. Markus Gabriel erklärt: „Unsere Sinnesmodalitäten beeinflussen einander, was man als kognitive Durchdringung bezeichnet. Insbesondere scheint es so zu sein, dass das, was wir über die Wirklichkeit gelernt haben, unsere sensorischen Erlebnisse, unsere Qualia, verändert.“ Derselbe Wein schmeckt beispielsweise einem Weinkenner anders als einem Laien.

Das Bewusstsein ist eine Struktur kognitiver Durchdringung

Aristoteles hat als Erster versucht, die menschlichen Sinnesorgane durch eine Analyse der Modalitäten und Qualitäten zu unterscheiden und die Unterschiede in der menschlichen biologischen Verfassung zu verorten. Aristoteles legt sich in dem berühmten Abschnitt, in dem er die fünf Sinne benennt, nicht eindeutig in der Frage fest, ob es einen Gemeinsinn gibt. Allerdings vermutet er, dass es neben den fünf Sinnen noch eine andere Sinnesmodalität geben müsse, die er mit dem Gemeinsinn in Verbindung bringt.

Markus Gabriel stellt fest: „Dabei stößt Aristoteles auf ein bis heute sinnesphysiologisch keineswegs gelöstes Problem, das gegenwärtig als das Bindungsproblem bekannt ist. Dieses besteht darin, dass wir nicht etwa isolierte Qualitäten wahrnehmen, sondern dass wir vielmehr zu einer Einheit zusammengelegte Erfahrungen machen.“ Das bewusste Erleben eines Menschen ist also ein mehr oder weniger vereinheitlichter Eindruck. Deshalb geht Immanuel Kant so weit, das menschliche Bewusstsein insgesamt als eine Struktur kognitiver Durchdringung zu verstehen. Quelle: „Der Sinn des Denkens“ von Markus Gabriel

Von Hans Klumbies