Der letzte Mensch hält sich für klug, er „weiß alles“. Ganz ohne Smartphone vermutete Friedrich Nietzsche, dass die Demokratisierung des Wissens, eine Hybris zur Folge haben wird. Diese verwechselt die Möglichkeit des Zugriffs auf Informationen mit jener Erkenntnis, die sich ihrer Begrenztheit und Vorläufigkeit stets bewusst ist. Konrad Paul Liessmann erklärt: „Das Leben des letzten Menschen wird dominiert von den Aspekten des Angenehmen, Nützlichen, Mittelmäßigen.“ Die Lüste selbst unterliegen seit geraumer Zeit dem Regime der Gesundheit. Das trifft das Rauchen ebenso wie den Sex, das Essen ebenso wie das Trinken. Und es trifft auch die rar gewordenen geistigen Genüsse. Konrad Paul Liessmann ist Professor für Philosophie an der Universität Wien. Zudem arbeitet er als Essayist, Literaturkritiker und Kulturpublizist. Im Zsolnay-Verlag gibt er die Reihe „Philosophicum Lech“ heraus.
Viele Menschen haben eine Schere im Kopf
Nur keine allzu radikalen Gedanken, nur keine inkorrekten Formulierungen, nur keine Sprache, die irgendein Gleichstellungsprinzip verletzten könnte. Nur kein Stil, der die Schönheit einer Formulierung über die Geschlechtergerechtigkeit stellte, nur keine Spitze, die jemanden wehtut, nur keine Hypothese, die in falsche Hände geraten könnte. Die Schere im Kopf sorgt dafür, dass man es sich auf der richtigen Seite der Geschichte behaglich einrichten kann. In seinem intellektuellen Wohlbefinden muss man sich auch nicht weiter stören lassen.
Der letzte Mensch scheut deshalb den Konflikt und den Schmerz. Er nimmt „ein wenig Gift ab und zu“, um angenehm zu träumen. Und „viel Gift zuletzt: das macht angenehmes Sterben“. Es ist für Konrad Paul Liessmann unmöglich, sich an dieser Stelle nicht an die Debatten um den assistierten Suizid zu erinnern. Bei diesem geht es ja längst nicht mehr nur um die selbstbestimmte Beendigung eines unheilbaren, schmerzhaften Leidens. Sondern es handelt sich dabei um ein angenehmes Sterben. Dieses kommt den Betroffenen ebenso zu Gute wie den Angehörigen und den Sozialversicherungssystemen.
Die letzten Menschen haben das Glück gefunden
Ein Passus über den letzten Menschen endet, wie er begonnen hat: „Wir haben das Glück erfunden – sagen die letzten Menschen und blinzeln.“ Es sind die Facetten des modernen Glücks, die hier entfaltet werden. Dabei handelt es sich um das Glück des Konsums, der Bequemlichkeit, des Konsenses und des Mittelmaßes, das Glück der Achtsamkeit und Empathie, das Glück der sanften Betäubungen und harmlosen Vergnügungen. Es ist das Glück, das von der empirischen Glücksforschung unserer Tage indiziert und gemessen wird.
Dieses Glück hat mittlerweile als eigenes Unterrichtsfach Eingang in die Lehrpläne und Stundentafeln der Schulen gefunden. Konrad Paul Liessmann fragt: „Und dennoch: Ist dieses Glück wirklich so verachtenswert, wie uns Zarathustra suggerieren will? Ist dieses „Oh Mensch“, das mit herabgezogenen Mundwinkeln den letzten Menschen treffen soll, nicht auch ein wenig von Neid und Bewunderung durchzogen? Gehört nicht eine bestimmte Art von Heroismus dazu, von jedem Heroismus Abschied nehmen zu können?“ Quelle: „Alle Lust will Ewigkeit“ von Konrad Paul Liessmann
Von Hans Klumbies