Hybris ist die Stellung des Menschen zur Natur

Ende des 19. Jahrhunderts entwickelt sich in Deutschland eine radikale Kulturkritik. Warum gerade in Deutschland? Silvio Vietta antwortet: „Weil dieses Land zu dieser Zeit eine Phase der akzelerierten Industrialisierung und Technisierung durchläuft.“ Bereits Friedrich Nietzsche kritisiert diese Form der Modernisierung radikal. Er nennt das darin waltende Verhältnis des Menschen zur Natur, zu Gott wie zum Menschen Hybris, das heißt Anmaßung, Überheblichkeit. Nach Friedrich Nietzsche nimmt sich das ganze moderne Sein, soweit es nicht Schwäche, sondern Macht und Machtbewusstsein ist, wie lauter Hybris und Gottlosigkeit aus. Hybris ist heute die ganze Stellung des Menschen zur Natur. Dazu gehört die Vergewaltigung der Natur mit Hilfe der Maschinen und der Erfindungen der Techniker und Ingenieure. Prof. em. Dr. Silvio Vietta hat an der Universität Hildesheim deutsche und europäische Literatur- und Kulturgeschichte gelehrt.

Die abendländische Seinsgeschichte ist ein Irrweg

Friedrich Nietzsche schreibt: „Hybris ist unsere Stellung zu uns, den wir experimentieren mit uns, wie wir es uns mit keinem Tiere erlauben würden, und schlitzen uns vergnügt und neugierig die Seele bei lebendigem Leibe auf.“ In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts schrieb dann Oswald Spengler seinen „Untergang des Abendlandes“. Außerdem veröffentlichte Martin Heidegger seine Radikalkritik der abendländischen Metaphysik. Max Horkheimer und Theodor W. Adorno schrieben zu guter Letzt noch ihre Radikalkritik der europäischen Aufklärung.

Silvio Vietta erläutert: „Die kritische Tonlage bei den letztgenannten Autoren radikalisiert noch einmal nach dem Zweiten Weltkrieg. Insbesondere die „feindlichen Brüder“ Martin Heidegger und Theodor W. Adorno lagen dabei in ihrer Kritik gar nicht so weit auseinander.“ Martin Heidegger kritisiert die ganze abendländische Seinsgeschichte als einen Irrweg, als eine Form der „Seinsverlassenheit“. Irrsinnigerweise hatte er selbst versucht, die Seinsgeschichte von der Antike an noch einmal neu zu gestalten.

Die Weltkriege sind Folge der Seinsverlassenheit

Dafür hatte er sich leider Adolf Hitler und die Nazis als politische Hilfstruppen ausgesucht. Den Führer wollte er wohl selbst als dessen philosophischer Führer zu neuen Wahrheiten führen. Als er seinen eigenen Wahnsinn erkannte, kehrte Martin Heidegger sich ab von der Politik und suchte in der Dichtung die Alternative zur modernen Zivilisation. Er kritisiert dann auch die Entwicklung des Nationalsozialismus zu einem reinen Herrschaftsdenken, „Machenschaft“, wie er das nennt.

Nach dem Krieg sieht Martin Heidegger die nun globalisierte abendländische Kultur auf einen Kollaps der Vernutzung zulaufen: „Die Weltkriege und ihre Totalität sind bereits Folgen der Seinsverlassenheit. Sie drängen auf die Bestandsicherung einer ständigen Form der Vernutzung.“ In einer solchen Kreisbewegung der Vernutzung um des Verbrauchs willen wird die Erde geplündert und verwüstet. Die Erde erscheint für Martin Heidegger als die Unwelt des Irrsinns. Quelle: „Europas Werte“ von Silvio Vietta

Von Hans Klumbies