Friedrich Nietzsche verkündet den Tod Gottes

Friedrich Nietzsche (1844 – 1900) verkündet öffentlich den Tod Gottes. Er steht damit eher am Ende als am Beginn einer langen Geschichte banger und finsterer Ahnungen. Diese nahmen ihren Anfang schon ein Jahrhundert zuvor. Ger Groot weiß: „Schon 1796 hatte der deutsche Romancier und Publizist Jean Paul in seinem Roman „Siebenkäs“ einen Text aufgenommen, der seiner Zeit weit voraus war.“ Er lässt darin den toten Christus vom Weltgebäude herab reden, dass es keinen Gott gibt. Jesus sprach zu den gestorbenen Kindern: „Wir sind alle Waisen, ich und ihr, wir sind ohne Vater.“ Das erinnert unvermeidlich daran, was Friedrich Nietzsche gut achtzig Jahre später in „Die fröhliche Wissenschaft“ schreibt. Ger Groot lehrt Kulturphilosophie und philosophische Anthropologie an der Erasmus-Universität Rotterdam. Außerdem ist Professor für Philosophie und Literatur an der Radboud Universität Nijmegen.

Der Tod Gottes ist ein Verbrechen

Friedrich Nietzsche erklärt: „Mit dem Tod Gottes hört die Sonne auf zu scheinen. In den tiefsten Tiefen des Universums herrscht nur noch Stille.“ Ebenso wie der Christus Jean Pauls ist Nietzsches „toller Mensch“ über den Tod Gottes eher bestürzt als begeistert. Er ruft aus: „Das Heiligste, das Mächtigste, was die Welt bisher besaß, ist unter unseren Messern verblutet. Wer wischt dieses Blut von uns ab? Der Tod Gottes ist ein Verbrechen, und wir, die Menschen, die dieses Verbrechen begangen haben, wie trösten wir uns?“

Doch es gibt einen bedeutenden Unterschied zwischen Jean Paul und Friedrich Nietzsche. Denn Jean Paul beginnt seine „Rede des toten Christus“ mit einem Vorbehalt, der die ganze folgende Ansprache in den Irrealis setzt. Das Schreckensbild ist also keine Realität, sondern schildert nur eine Möglichkeit und bezweckt das Gegenteil dessen, was es schildet. Jean Paul will die Mutlosigkeit, die den Menschen manchmal überfällt, mit einer noch ärgeren Mutlosigkeit kontrastieren.

Eine gottlose Welt ist denkbar geworden

Jean Paul will damit das Vertrauen in das Leben und in Gott aufs Neue stärken. Ger Groot erläutert: „Seine Verzweiflungsperspektive ist in Wirklichkeit eine Frömmigkeitsübung.“ Am Ende seines Stücks erwacht das Gemüt dann auch aus seinem Albtraum. Jean Paul schreibt: „Meine Seele weinte vor Freude, dass sie wieder Gott anbeten konnte. Und die Freude und das Weinen und der Glaube an ihn waren das Gebet.“ Sein Ausflug in den Atheismus ist also in Wirklichkeit eine mehr oder weniger ins Gegenteil verkehrte Bekräftigung des Glaubens.

Aber all das zeigt für Ger Groot doch deutlich, dass der Gedanke an eine gottlose Welt denkbar geworden ist. Und wie verloren sich der Mensch in einer solchen Welt empfände. Diese Möglichkeit ist für Friedrich Nietzsche eine Realität. Und damit sieht sich der Mensch vor die philosophische Aufgabe gestellt, die Konsequenzen daraus zu durchdenken. Nietzsches Werk ist ein einziger andauernder Versuch dazu. Zugunsten einer neuen Daseinsperspektive muss er jedoch nicht nur Gott und die Religion aufgeben. Sondern er muss auch auf das Regime der Wahrheit verzichten. Quelle: „Und überall Philosophie“ von Ger Groot

Von Hans Klumbies