Der Angstpegel der Deutschen ist laut einer Studie der R+V-Versicherung auf den höchsten Stand seit 25 Jahren gestiegen. Wie stark die Angst bei jedem einzelnen Menschen ausgeprägt ist und ob sich daraus Angststörungen entwickeln können, lässt sich nicht generalisieren. Georg Pieper ergänzt: „So führen die derzeit größten Ängste wie jene vor Terror, vor den Folgen der Flüchtlingskrise und vor politischem Extremismus bei jedem zu anderen Reaktionen.“ Wenn jemand Angst vor dem Autofahren hat, generell Risiken scheut, immer besorgt ist, dass den Liebsten etwas Schlimmes zustoßen könnte, wirkt sich die momentane existierende Bedrohungssituation aus jeden Fall angstverstärkend aus. Diese Menschen sind, das lässt sich genau beobachten, viel sensibler für die aktuelle Entwicklung und reagieren darauf schneller und heftiger. Der Psychologe, Therapeut und Traumaexperte Georg Pieper betreut seit Jahrzehnten Menschen nach extremen Katastrophen.
Menschen haben plötzlich das Gefühl von Bedrohung
Aber es trifft durchaus nicht nur die von Haus aus Ängstlichen. Auch bisher sehr angstfreie Personen sind durch die Ereignisse und Entwicklungen seit 2015 insgesamt misstrauischer und angstvoller geworden. Die einen erleben unerwartete Schreckmomente, die sie sich vorher nicht hätten träumen lassen, bei anderen werden alte Wunden aufgerissen, manche fühlen sich von sorgenvollen und ängstlichen Gedanken dauerhaft belastet, und bei wieder anderen verschlechtert sich die schon vorher von Ängsten belastete psychische Verfassung.
Georg Pieper erläutert: „Für Menschen mit einer Angstvorgeschichte stellen die jüngsten Ereignisse und Entwicklungen in Deutschland eine enorme zusätzliche Belastung dar. Die dadurch ausgelösten Ängste sind für sie besonders schwer zu bewältigen.“ In bestimmten Situationen haben Menschen plötzlich ein Gefühl von Bedrohung, das sie eigentlich gar nicht haben wollen. Und sie merken, wie sie in eine Pauschalisierung geraten: zum Beispiel, dass arabisch aussehende Männer Gefahr bedeuten. Man spürt, dass Reaktionen bei einem ablaufen, die man nicht bewusst beeinflussen kann.
Negative Erlebnissen können das Leben eines Menschen massiv verändern
Mit dem Kopf steuert man zwar dagegen, aber irgendwie funktioniert das nicht. Die Angstreaktion setzt von allein ein. Solche Erlebnisse kennt Georg Pieper auch von sich selbst. Aus psychologischer Sicht handelt es sich hier um ganz normale sogenannte Reiz-Reaktions-Verbindungen. Man sieht, hört oder liest von einem Anschlag eines jugendlichen Flüchtlings, in diesem Fall dem von Würzburg im Regionalzug, und im Inneren des Betrachters läuft eine psychische und körperliche Reaktion ab. Auf der psychischen Ebene sind das Angstgefühle.
Körperliche Reaktionen sind Anspannung, Atemstocken, Kloß im Hals, Herzklopfen und Ähnliches. Später ist der Anblick eines jugendlichen Flüchtlings an diese Reaktion gekoppelt, häufig nur in abgeschwächter Form, und es wird lediglich ein Gefühl des Unbehagens hervorgerufen. Sehr negative Erlebnisse solcher unerwarteter Ängste und Reaktionen, die man eigentlich ablehnt, können sich verstärken und dadurch das Leben eines Menschen massiv verändern. Quelle: „Die neuen Ängste“ von Georg Pieper
Von Hans Klumbies