Die Wirklichkeit ist von Fake News immer schwieriger zu unterscheiden

Die Erkenntnistheorie beschäftigt sich insbesondere mit der Frage, was menschliche Erkenntnis ist und wie weit sie reicht. Was können Menschen wissen beziehungsweise erkennen? Aber man braucht kein Fachphilosoph zu sein, um sich erkenntnistheoretische Fragen zu stellen. Markus Gabriel erklärt: „Wir sind längst alltäglich mit dem Problem konfrontiert, dass es immer schwieriger wird, die Wirklichkeit von Fakes, also Illusionen zu unterscheiden.“ In sozialen und politischen Fragen kommt noch hinzu, dass man die Dinge meistens durch die Brille der eigenen Werte und Vorurteil sieht und anders beurteilt. In dieser Hinsicht scheint man in seinen Meinungen gefangen zu sein und keine objektive Wirklichkeit erfassen zu können. Seit 2009 hat Markus Gabriel den Lehrstuhl für Erkenntnistheorie und Philosophie der Neuzeit an der Universität Bonn inne und ist dort Direktor des Internationalen Zentrums für Philosophie.

Der Mensch schafft neue Wirklichkeiten

Im Informationszeitalter werden die Menschen mit Informationen bombardiert, ohne dass man ihnen mitteilt, wo diese herkommen und ob die Quellen überhaupt zuverlässig sind. Aufgrund der Geschwindigkeit, mit der sich echte Nachrichten und Fake News verbreiten, und der Leichtigkeit, mit der man einem Menschen aberwitzig viele Informationen per Klick zugänglich machen kann, verliert man schnell den Boden unter den Füßen. Die aktuelle Lebenswelt macht heute auf viele Menschen den Eindruck eines riesigen Verblendungszusammenhangs, den niemand mehr wirklich durchschauen kann.

Doch das täuscht. Es verhält sich genau umgekehrt. Markus Gabriel erläutert: „Das Informationszeitalter ist eine Epoche des rasanten Wissenszuwachses und der Vervielfältigung der Wirklichkeit. Das Neue ist nicht, dass sich die Wirklichkeit hinter Bildschirmen und Medien verbirgt, sondern dass wir aufgrund unseres medialen Eingriffs ins Universum neue Wirklichkeiten schaffen und alte verändern.“ Die Menschen haben nicht ihren Wirklichkeitskontakt verloren, sondern ihn unendlich komplexer gemacht. Es gab sozusagen noch niemals so viel Wirklichkeit im menschlichen Leben wie heute.

Der Empirismus hemmt den Fortschritt der Wissenschaften

An dieser Stelle möchte Markus Gabriel auf eine weitverbreiteten Irrtum aufmerksam machen. Dieser trägt den Namen „Empirismus“. Der Empirismus ist die These, dass alles, was der Mensch über die Wirklichkeit jemals wissen kann, auf eine Interpretation von Daten hinausläuft, die seine Sinne einem Menschen liefern. Unter einem Sinn wird in diesem Zusammenhang ein System verstanden, das Reize von der Umwelt empfängt und diese dann transformiert, sodass man niemals den Reiz selber sondern letztlich immer nur eine Interpretation des Reizes direkt erfassen kann.

Einer unter vielen, welche die Problematik dieser Auffassung erkannt haben, ist der Oxforder Physiker David Deutsch (*1953). In seinem Buch „Der Anfang der Unendlichkeit“ erklärt er den Empirismus für einen grundlegenden Fehler, für eine schlechte Philosophie, die nicht nur falsch ist, sondern außerdem den Fortschritt der Erkenntnis der Wissenschaften hemmt. Er meint, dass die moderne Physik – für ihn vor allem die Quantentheorie – die unendlichen Weiten des Kosmos erforscht, ohne dafür immer nur Beobachtungsdaten aufzusammeln und diese dann zu einer Theorie umzuformen. Quelle: „Der Sinn des Denkens“ von Markus Gabriel