Die Schuld ist ein unheimliches Phänomen

Über Schuld reden Menschen normalerweise nicht gerne. Doch Schuld ist allgegenwärtig. Auch ein psychisch kranker Mensch kann schuldig werden. Manfred Lütz erläutert: „Unser Rechtsordnung hat sich nach dem Prinzip „Im Zweifel für den Angeklagten“ entschieden, Menschen, denen einen halluzinierte Stimme befohlen hat, einen anderen Menschen zu töten, für schuldunfähig zu erklären, wenn er dieser Stimme folgt.“ Doch niemand weiß genau, inwieweit dieser Mensch sich dem Befehl doch hätte widersetzen können. Schuld ist ein unheimliches Phänomen. Die meisten Menschen sind sich ganz gewiss, dass es sie gibt, denn sie beeinträchtigt ihr Leben Tag für Tag, sie umgibt sie, sie sind ihr ausgeliefert, sie verstricken sich selbst in ihr, aber sie können die Schuld nicht fassen. Manfred Lütz leitet eine Klinik für psychisch Kranke in Köln.

Die Schuld kann zu einer inneren Umkehr führen

Für den Philosophen Karl Jaspers ist Schuld zumindest nichts rein Negatives: „Im Moment der Schuld bemerkt ein Mensch, dessen Leben vielleicht bisher nichtssagend dahingeplätschert ist, sich vielleicht erstmals wirklich selbst, er bemerkt, dass er existiert.“ Und die Christen sprechen tatsächlich von der „felix culpa“, der glücklichen Schuld. Von glücklicher Schuld kann nur jemand reden, der Schuld in einen größeren Zusammenhang einordnen und dadurch überwinden kann und der dann durch die Schuld den Impuls für ein neues sinnvolles Leben erfahren hat.

Das können natürlich auch Menschen, die keine Christen sind, aber Manfred Lütz gibt zu, dass ein erleichterter Umgang mit Schuld vielleicht eine Spezialität der christlichen Religion ist, nicht immer, wie man weiß, denn es gab ja auch den Missbrauch von Religion für die Kultivierung von künstlichen Schuldgefühlen. Manfred Lütz hat sogar einen Mörder kennengelernt, der seine Strafe abgesessen hatte und den seine Schuld zu einer inneren Umkehr geführt hat. Heute ist er ein liebenswürdiger, idealistischer, hilfsbereiter Mensch.

Krankhafte Schuldgefühle sind keine wirkliche Schuld

Natürlich ist Schuld eigentlich immer endgültig, man kann sie nicht wiedergutmachen. Ohne religiöse Riten, ohne die Überzeugung von einem gnädigen Gott, ist es heute nicht einfach, mit Schuld umzugehen. Psychotherapeuten haben gute Methoden, wie sie mit pathologischen oder sonst wie unangemessenen Schuldgefühlen umgehen können. Manfred Lütz erklärt: „Krankhafte Schuldgefühle sind ja keine wirkliche Schuld.“ Die Bewältigung von Schuld ist ein Menschheitsthema, das beispielsweise eindrucksvoll in dem Roman „Schuld und Sühne“ von Fjodor Dostojewski beschrieben wird.

In der gesamten Weltliteratur gibt es keine so ausführliche und rücksichtslose Selbstbeschuldigung wie die „Bekenntnisse“ von Aurelius Augustinus. In der Form eines Gebets verfasst, berichtet er da schonungslos über sein bisheriges Leben. Alle seine geistigen Irrungen bekennt er mit großem Bedauern. Auch sein Lotterleben verurteilt er. Bis ins kleinste psychologische Detail entlarvt er sich selbst und stellt sich öffentlich bloß. Augustinus erzählt alles, ohne jede Hemmung. Quelle: „Wie Sie unvermeidlich glücklich werden“ von Manfred Lütz

Von Hans Klumbies