Traumgedanken haben die Aufgabe, Material aus Erinnerungen, Phantasie und manchmal auch Wahrnehmungen aufzugreifen und zu einer Handlung zu verarbeiten, zu etwas, dass man als Gegenrealität bezeichnen könnte. David Gelernter drückt dies wie folgt aus: „Der schwach fokussierte, träumende Geist treibt Improvisationstheater in Höchstform.“ Auf die Frage, warum Menschen träumen, antwortet David Gelernter: „Aus dem selben Grund, aus dem wir auch denken.“ Sigmund Freud vertrat bekanntermaßen die Ansicht, ein Traum sei die Erfüllung eines Wunsches. Damit meinte er, dass der Traum eine – häufig verkleidete, entstellte oder unvollständige – Geschichte darüber erzählt, wie man etwas erreicht, nach dem man Verlangen verspürt. Jonathan Lear weist darauf hin, dass dieser Freud`sche Wunsch eine Schöpfung der Traumwelt ist und auch in der Traumwelt erfüllt werden soll. David Gelernter ist Professor für Computerwissenschaften an der Yale University.
Im Wachzustand lösen die Gedanken viele Probleme
Der Traum ist kein gewöhnlicher Wunsch, der sich nicht erfüllen kann, weil man schläft. Nur unter seinen eigenen Bedingungen wird er erfüllt. Sigmund Freud behauptete, dass die Menschen nachts aus den gleichen Grund träumen, aus dem sie tagsüber denken. Das Träumen hat seiner Meinung nach den gleichen Zweck wie das Denken. Sigmund Freud wusste sehr genau, dass Träumen im Grunde nur, wie er es ausdrückt, „eine besondere Form des Denkens“ ist. Im Wachzustand drehen sich die Gedanken um die Planung von Wegen, auf denen man bekommt, was man braucht.
Ebenso lösen die Gedanken im Wachzustand alle Probleme, die ein Mensch lösen will und kann, sie reagieren auf die physische Umwelt und so weiter. Aber nach Sigmund Freuds Lesart ist die Überscheidung zwischen wachen Gedanken und Traumgedanken viel größer als der Unterschied. David Gelernter erklärt: „Freuds Auffassung ist schlicht und einfach richtig. Dennoch muss man gerechterweise auch sagen, dass die Wunscherfüllung nicht die wichtigste Aufgabe des Träumens ist. Seine Hauptfunktion ist einfacher und naheliegender.“
Beim Wachwerden überschreitet man die Schwelle der Halluzination
Verschiedene Menschen brauchen unter unterschiedlichen Bedingungen individuelle Reize, um wach zu werden. In der Regel dauert es einige Minuten, bis man vollständig aus dem Schlaf aufgetaucht ist. Manchmal beschreiben Menschen ihren Zustand vor und unmittelbar nach dem Schlafen mit dem gleichen Wort: schläfrig. In beiden Fällen befinden man sich in der gleichen Verfassung – beschäftigt mit dem, was sich im Geist abspielt und weder fähig noch willens, sich auf die Außenwelt zu konzentrieren.
Wissenschaftler aus einem Traumlabor berichten: „Wenden wir uns nach dem Erwachen nicht abrupt von der Traumwelt ab, sondern versuchen, die Verbindung mit ihr nicht abreißen zu lassen, dann ist die Wahrscheinlichkeit größer, einen Traum zu erinnern.“ Es gibt also zwischen Schlafen und Wachen einen Raum, von dem man wieder ins Träumen zurück gelangen kann – in leichtes Träumen. Häufig wird dabei die tatsächliche, reale Umwelt Teil solchen Träumens. Wach zu werden bedeutet auf dem Weg vom Schlafen zum Wachen – oft mit einem Ruck – die Schwelle der Halluzination zu überschreiten. Quelle: „Gezeiten des Geistes“ von David Gelernter
Von Hans Klumbies