Zum frühen Tod des Philosophen Andreas Kuhlmann

Andreas Kuhlmann war ein Philosoph, der sich nicht nur darüber im Klaren war, dass das Denken Folgen hat, sondern auch seine Konsequenzen daraus zog. Klarheit und Nüchternheit zeichneten den Denkstil von Andreas Kuhlmann aus. Die Stringenz, mit der er seine Argumente begründete und zu Ende führte, war streng und unerschütterlich. Dieser philosophische Denkansatz hatte allerdings nichts mit Starrsinn, blindem Eifer oder gar Prinzipienreiterei zu tun. Ebenso wenig konnte er mit dem typisch Deutschen anfangen. Er verehrte den Literaturnobelpreisträger Thomas Mann und dessen Romane sehr.

Die aktuelle Philosophie kann das Leben nicht mehr verändern

1959 in Bremen geboren, forschte und schrieb Andreas Kuhlmann in Frankfurt am Main. Er wurde ein Anhänger von zwei philosophischen Strömungen der Frankfurter Schule. Er identifizierte sich mit der Natur- und Kunstphilosophie Theodor W. Adornos und sympathisierte mit der auf das Ideal der Kommunikation gegründeten politischen Philosophie von Jürgen Habermas. Und dies, obwohl er der Meinung war, dass die Grundgedanken der „Ästhetischen Theorie“ und der „Theorie des kommunikativen Handelns“ wohl nicht in Harmonie miteinander existieren könnten.

1987 postulierte Andreas Kuhlmann einen pathologischen Zug aller Richtungen der deutschen Gegenwartsphilosophie. Er stellte die These auf, dass alle, einschließlich Jürgen Habermas, das Programm Ludwig Wittgensteins der Beschränkung der Philosophie auf die Therapie unglücklicher Redensarten übernommen habe. Dieser Schutz durch Anpassung an die Normalität verbot die Spekulation auf einen Gedanken, der möglicherweise das Leben verändern könnte.

Die Bioethik des Andreas Kuhlmann

So hatten laut Andreas Kuhlmann beispielsweise die Enkelschüler Martin Heideggers offenbar vergessen, dass dieser zu einem extrem schwierigen Unterfangen aufgefordert hatte. Die Aufgabe bestand darin, den je eigenen Tod anzunehmen und diese ungemütliche Aussicht auszuhalten. Zwei Bücher zur Bioethik von Andreas Kuhlmann fanden reges Interesse bei seinen Lesern und Kritikern: „Abtreibung und Selbstbestimmung“ (1996) und „Politik des Lebens – Politik des Sterbens. Biomedizin in der liberalen Demokratie“ (2001).

Darin prägte er unter anderem den Begriff von den geringen Chancen und Plausibilitäten moralischer Bevormundung und beschrieb sein Wissen von der Gewalt des körperlichen Leidens, dessen Linderung der Fortschritt in der Medizin wenigstens für künftige Generationen in Aussicht stellt.

Andreas Kuhlmann warnt vor einer Feindschaft gegen die Medizin

In einem Aussatz von 2006 mit dem Titel „Krankheit und Freiheit“ schrieb Andreas Kuhlmann über sein eigenes Leben, das durch eine spastische Lähmung, von chronischen Schmerzen geprägt war. Schon 2001 veröffentlichte er in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung einen Artikel, den er die „Gesundbeter“ nannte. In ihm warnte er vor einer Feindschaft gegen die Medizin aus Mitgefühl, die sich ein gutes Gewissen durch den Spruch, „Behindert ist man nicht. Behindert wird man.“, macht.

Andreas Kuhlmann war nicht der Meinung, dass Behinderte nur dann angemessene Achtung finden würden, wenn man sie nur als Menschen mit besonderen Fähigkeiten zur Kenntnis nimmt. Die volle Achtung kommt für ihn nur dann zustande, wenn man zugleich die Schmerzen, Entstellungen und eingeschränkten Entfaltungsmöglichkeiten der Behinderten anerkennt. Andreas Kuhlmann kannte den Schmerz. Am Donnerstag, den 5. Februar 2009, starb der Philosoph im Alter von nur 49 Jahren in Frankfurt am Main.

Von Hans Klumbies