Es herrscht ein großes Unbehagen in Europa

Der Streit über die politische Korrektheit ist der Kristallisationspunkt, an dem sich eine lose Verbindung verfestigt. Es handelt sich dabei um die Liaison der Reaktionäre mit dem hadernden Teil des Bürgertums, der in Krisenzeiten oft nach rechts driftet. Roger de Weck erläutert: „Indem sie das politisch Korrekte anprangern, können Autoritäre als Hüter der Freiheit auftreten. Konservative sich ein letztes Mal gegen die aussterbende Spezies der Weltverbesserer austoben. Und schwankende Sozialliberale doch noch zum rechten Zeitgeist finden.“ Den Reaktionären nützt es, dieses im Alltag der Europäer unerhebliche Phänomen zu einem Symbol des ganz großen Unbehagens aufzubauschen, als drücke allen das Joch einer Schreckensherrschaft. Das „Man darf ja gar nichts mehr sagen“ ist Teil der Agenda von Neurechten. Roger de Weck ist ein Schweizer Publizist und Ökonom.

Politische Korrektheit sucht menschenfreundliche Worte

Die Neurechten sagen jedoch am laufenden Band das, was sich unter ehrenhaften Menschen von selbst verbietet. Die verunglimpfen, verleumden, demütigen und nehmen keine Rücksicht. Sprache ist Politik, und in ihrer Sprachpolitik gehen einige Eiferer der politischen Korrektheit sehr weit. Noch viel weiter gehen freilich die rechten Vorkämpfer des Antikorrekten. Beide arbeiten an der Sprache des 21. Jahrhunderts, bloß in diametral entgegengesetzte Richtungen.

Politische Korrektheit nennt respektvoll die Menschen so, wie sie bezeichnet werden möchten, beispielsweise als Schwarze. Politische Unkorrektheit verunglimpft die „Neger“. Korrekte wolle zugewanderte Mitbürger einbinden. Im antikorrekten Duktus sind sie eine „herbeigekommene Bevölkerung“ oder gar „Gesindel“. So grenzen sie der AfD-Co-Fraktionsvorsitzende Alexander Gauland bzw. sein Parteikollege Nicolaus Fest aus. Politische Korrektheit sucht menschenfreundliche Worte. Sie spricht zum Beispiel von „Geflüchteten“, was die individuellen Tragödien konkreter vor Augen führt als „Flüchtlinge“.

Politisch Korrekte wollen die Vielfalt unterstreichen

Es fließen „Flüchtlingsströme“, nicht aber Ströme von Geflüchteten. Roger de Weck erklärt: „Ströme lassen uns an anonyme Massen denken, wo es in Wirklichkeit um individuelle menschliche Schicksale geht.“ Die politisch unkorrekte Sprache entmenschlicht. Alexander Gauland will keine Ausländer „importieren“, dafür die Bundestagsabgeordnete Aydan Özoğuz „in Anatolien entsorgen“. Politisch Korrekte wollen das Deutsch fortentwickeln, um die Vielfalt zu unterstreichen und alle gleich zu behandeln. Neben das Fürwort „man“ stellen sie die Varianten „frau“ und „mensch“.

Politische Unkorrektheit dagegen holt vergessene Kampfwörter wie „Volkstod“ aus der jahrzehntelangen Versenkung. Und dieser oder jener missliebige Politiker „gehört nicht zu unserem Volk und hat hier keine Platz“, raunt Alexander Gauland mit drohendem Unterton. Die Neue Rechte denunziert die politisch korrekte Rede- und Schreibweise, um die eigenen Sprach- und Denkmuster einzuschleusen. Und zwar durchaus mit Erfolg. Wer die Begriffe setzt, beherrsche die Debatte. Mehr und mehr Konservative machen sich das Scharfmacher-Vokabular zu eigen. Quelle: „Die Kraft der Demokratie“ von Roger de Weck

Von Hans Klumbies