Die Grundrechte stehen an erster Stelle

Zwei Jahre, in denen eine essenzielle Krise auf die nächste folgte, habe das gesellschaftliche und politische Leben in Deutschland substanziell verformt. Dabei ist es zu einer schier unglaublichen Machtkonzentration der Exekutive gekommen. Ulrike Guérot fordert in ihrem neuen Buch „Wer schweigt, stimmt zu“, dass der Wert von Grundrechten dringend neu im Bewusstsein der Deutschen verankert werden muss. Die Gesellschaft darf niemanden von der Teilhabe am Diskurs ausgrenzen, den mit Ausgrenzung beginnt laut Ulrike Guérot die Erosion der Demokratie. Gewinner sind ihrer Meinung nach vor allem Tech-Giganten wie Facebook, Twitter sowie YouTube und Finanzgiganten, die schlussendlich digitale Überwachungssystem installieren. Sie haben den Körper als letzte Ware im Visier und Heilsversprechen im Gepäck. Seit Herbst 2021 ist Ulrike Guérot Professorin für Europapolitik der Rheinischen-Friedrichs-Wilhelms Universität Bonn.

Nur noch 16 Prozent vertrauen der Regierung

Die Menschen müssen ihr Zusammenleben schlicht neu entwerfen. Und zwar für eine postnationale, postkapitalistische und postpatriarchalische Welt. Es muss öffentliche Räume geben, zu denen alle Zugang haben und man niemanden durch einen Barcode aussperrt. Europa und die Freiheit gehören für Ulrike Guérot untrennbar zusammen. Schweigen ist verboten. Ziel ihres Essays ist es, eine breite gesellschaftliche Debatte über die Verformungen von Demokratie und Gesellschaft in Gang zu bringen, die sich während der Corona-Pandemie entwickelt haben.

Laut einer Studie der Bertelsmann-Stiftung haben nur noch 42 Prozent der Deutschen Vertrauen in die Demokratie und nur noch 16 Prozent sind von den Fähigkeiten der Regierung überzeugt. Dazu befand sich während der Corona-Krise eine ganze Gesellschaft in einem nie gekannten Erregungszustand. Eine Demonstration jagte die andere. Ulrike Guérot wird mulmig, wenn sie beobachtet, wie sehr die Deutschen ihre Rechtsordnung schon verdreht und die Freiheit schon verspielt haben.

Die Grundrechte der Freiheit darf man nicht opfern

Die ganze Welt schwankt heutzutage zwischen Dystopie und Utopie, zwischen globalem Wahn und weltweiter Hoffnung. Es herrscht das allgemeine Bewusstsein, dass die Pandemie eine Zäsur ist und danach einiges anderes sein wird. Ulrike Guérot stellt jedoch nüchtern fest, dass der Traum von der großen Solidarität, ausgeträumt ist. Dennoch gibt sie die Hoffnung auf eine bessere Welt nicht auf. Die Zukunft liegt für sie unter anderem in der Zerschlagung von Monopolen, durch die man die Aufzinsung von Geld und Daten beenden kann.

Ulrike Guérot gesteht der Politik zu, dass die ein Infektionsgeschehen regulieren und kontrollieren wollte. Aber Grundrechte und Freiheit darf sie dafür auf keinen Fall opfern. Die Autorin kritisiert: „Es war wohl der Kardinalfehler schlechthin, dass der Staat sich überhaupt für zuständig erklärt hat, anstatt mehr auf die Selbstverantwortung der Bürger:innen zu setzen.“ Denn Freiheit ist immer noch der beste Garant, um mit kollektivem, institutionellem oder staatlichem Versagen umzugehen.“

Wer schweigt, stimmt zu
Über den Zustand unserer Zeit und darüber, wie wir leben wollen
Ulrike Guérot
Verlag: Westend
Gebundene Ausgabe: 144 Seiten, 4. Auflage: 2022
ISBN: 978-3-86489-359-9, 16,00 Euro

Von Hans Klumbies