Ralf Dahrendorf fordert mehr Freiheit

Ganz besonders unter Druck ist jene Linke, der Ralf Dahrendorf 1983 den Untergang verkündet hatte: „Wir erleben das Endes des sozialdemokratischen Jahrhunderts“, schrieb der Soziologe in „Die Chancen der Krise“. Den Totenschein stellte er etwas vorschnell aus. Denn danach blühten die Sozialdemokratien in manchen Ländern so richtig auf. Und da und dort in Europa halten sie sich bis heute gut. Visionär war laut Roger de Weck aber Ralf Dahrendorfs ehrerbietige Begründung: „In seinen besten Möglichkeiten war das Jahrhundert sozial und demokratisch. An seinem Ende sind wir (fast) alle Sozialdemokraten geworden.“ Folgende Themen definierten das sozialdemokratische Jahrhundert: Wachstum, Gleichheit, Arbeit, Vernunft, Staat und Internationalismus. Dieses Themenbündel, das von allen Parteien aufgegriffen wurde, hatte für Ralf Dahrendorf „seine Möglichkeiten erschöpft“. Roger de Weck ist ein Schweizer Publizist und Ökonom.

Die Sozialdemokraten haben den Demokratie verteidigt

Ralf Dahrendorf postulierte: „Ein Themenwechsel findet statt.“ Der soziologische Betrachter blickte weit und bleibt aktuelle: In damaliger Sprache forderte er qualitatives statt quantitatives Wachstum, sparsamen Umgang mit den Ressourcen und ein neues Verständnis von Arbeit. Der deutsch-britische Kosmopolit sah die Rückkehr des Nationalen, der Wissenschaftler den neurechten Verdruss an der Vernunft voraus. Zudem forderte der normative Freidemokrat mehr Freiheit, weniger Gleichheit und „Gleichmacherei“ durch den Staat.

Ralf Dahrendorfs Lob der abklingenden Demokratie war eine schlechte Prognose für die liberale Demokratie, denn sie liest sich wie ein Nachruf: „Ein Verdienst der sozialdemokratischen Epoche ist vor allem festzuhalten: Sozialdemokraten haben das, was wir etwas lose Demokratie nennen, durchgesetzt und verteidigt. Die Verbindung von Rechtsstaat und den Institutionen der offenen Gesellschaft ist die politische Form der sozialdemokratischen Epoche.“ Auch Medien, die der SPD nicht wohlgesonnen sind, ergehen sich in Abhandlungen darüber, was sie besser machen müsse.

Die SPD entfernte sich von ihrer Basis

Vergießen die Meinungsmacher Krokodilstränen? Roger de Weck antwortet: „Nicht nur. Sie wünschen sich eine Sozialdemokratie, die stark genug ist, die Demokratie zu stützen. Die aber auch willig bleibt, eine freidemokratisierte Politik zu verfolgen – das ist die allgemeine Erwartung.“ Willkommen waren Schröder-Blair-Sozialdemokraten des „Dritten Wegs“. Sie setzten das Unpopuläre um, das bürgerliche Parteien vorsichtshalber nur predigten. Die deutsche Linke wagte, was die deutsche Mitte scheute.

Nämlich die in ihrer Überhärte teilweise verfassungswidrigen Hartz-IV-Reformen des Arbeitsmarkts. Die SPD erntete damals Lob für diese Politik, die einen Teil ihrer Basis vor den Kopf stieß. Aus denselben Kreisen erntet sie jetzt Kritik, dass sie sich von ihrer Basis entfernt habe. Und dass sie von den Hartz-IV-Reformen abrückte. Vor allem die Konservativen und Reaktionäre werden der Linken vor, sie habe sich von den „kleinen Leuten“ verabschiedet. Denn sie identifiziere sich nur noch mit Minoritäten und deren besonderen Identität. Quelle: „Die Kraft der Demokratie“ von Roger de Weck

Von Hans Klumbies