Innerhalb der letzten 30 Jahren sind die Mehrheit der Deutschen und der übrigen Welt deutlich fürsorglicher, liberaler und friedlicher, kurz: progressiver geworden. Dieser Wandel veranschaulicht allerdings nicht, warum am rechten Rand der deutschen Parteienlandschaft eine Lücke aufgeklafft ist. Diese besetzt jetzt eine neue Partei, die Alternative für Deutschland (AfD). Philipp Hübl blickt zurück: „Fast alle Länder und Kulturen haben in den letzten Jahrhunderten eine Entwicklung vom kollektivistischen Stammesmodell zu modernen Gesellschaftsnormen durchgemacht.“ Die Menschen legen mehr Wert auf Individualismus und universelle Gesetze, sodass der moralische Kompass immer weniger in Richtung Autorität und Loyalität ausschlägt. Fairness und Freiheit rückt in den Vordergrund, wie der amerikanische Anthropologe Alan Fiske zeigt. Philipp Hübl ist Philosoph und Autor des Bestsellers „Folge dem weißen Kaninchen … in die Welt der Philosophie“ (2012).
Die Vereinten Nationen beruhen auf der Idee der Menschenrechte
Den logischen Fluchtpunkt dieser Entwicklung stellt die Gründung der Vereinten Nationen im Jahr 1949 dar. Dabei handelt es sich um eine überstaatliche Institution, die auf der Idee universeller Menschenrechte beruht. In den 100.00 Jahren Menschheitsgeschichte davor hätte niemand im Traum daran gedacht, einen ständigen Rat für die gesamte Menschheit einzurichten. Selbst in den heutigen konservativ-autoritären Regionen der Welt, zum Beispiel in China, Russland und im arabischen Raum, haben die Menschen progressivere Werte als je zuvor.
Wenn es beispielsweise um die Autorität der Religion geht, um Scheidung, Sex vor der Ehe oder Selbstmord sind die Werte vergleichbar mit denen im Westeuropa der Sechzigerjahre. In Zukunft ist also keine Islamisierung des Abendlandes zu erwarten, sondern eher eine Abendlandisierung des Islam. Philipp Hübl stellt fest: „Auch die weltweit geteilte Fürsorge für Tiere ist ein anschauliches Beispiel für die „progressive Revolution“ nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs.“
Peter Singer hat die „Tierethik“ ins Leben gerufen
Die Vorstellung, dass auch Tiere Rechte haben, wurde erst Anfang der Siebzigerjahre durch den britischen Psychologen Richard D. Ryder popularisiert. Und sein ehemaliger Studienkollege Peter Singer hat die „Tierethik“ als philosophische Teildisziplin überhaupt erst ins Leben gerufen. In Deutschland wird Tierquälerei heutzutage mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren bestraft. Zum Glück ist auch die Gewalt gegenüber Kindern zurückgegangen.
Denn bei der Erziehung steht nicht mehr Autorität im Vordergrund, sondern Fürsorge. Religionen sind weltweit ebenfalls auf dem Rückzug. Philipp Hübl erläutert: „Die vormoderne Autorität der Glaubensinstitutionen hat in vielen Kulturkreisen den Rang an die evidenzbasierte Expertise der Wissenschaft abgegeben.“ Das belegen der amerikanische Politologe Ronald Inglehart und seine Kollegen in einer internationalen Studie zu den Werten der Weltbevölkerung. Inzwischen bezeichnen sich fast ein Viertel aller Menschen als „atheistisch“ oder „nicht religiös“. Quelle: „Die aufgeregte Gesellschaft“ von Philipp Hübl
Von Hans Klumbies