Viele Menschen tabuisieren den eigenen Tod

Viele Menschen, die den Glauben an die Religion verloren haben, fürchten sich noch mehr vor dem Tod als die Gläubigen und tabuisieren ihn sogar. Damit betrügen sie sich freilich selbst. Fast nie ist vom eigenen, fast immer vom anonymen Tod des anderen die Rede. Michael Wolffsohn fügt hinzu: „Man bleibt Zuschauer und ist nicht betroffen. Den eigenen Tod tabuisieren die meisten Menschen; damals, heute und gewiss auch in Zukunft. Wir sterben alle, und eigentlich alle möchten es nicht wahrhaben.“ Auch hier bestätigen Ausnahmen die Regeln. Epikur, zum Beispiel. Er lebte von 341 bis 270 vor Christus. Den meisten gilt er völlig zu Unrecht, als eine Art Lustmolch. Prof. Dr. Michael Wolffsohn war von 1981 bis 2012 Professor für Neuere Geschichte an der Universität der Bundeswehr in München.

Jeder sollte den kurzen Augenblick des Lebens genießen

„Von der Überwindung der Furcht“, gerade der Todesfurcht, sprach der antike Philosoph. Gerade weil der Mensch sterblich und endlich sei, so Epikur, solle er den kurzen Augenblick des Lebens genießen. Und der Tod? Epikur wörtlich in seinem „Katechismus“: „Der Tod geht uns nichts an. Denn was sich aufgelöst hat, hat keine Empfindung. Was aber keine Empfindung hat, geht uns nichts an.“ Gegen das Verdrängen und Tabuisieren des Todes schrieb auch der antike Philosoph Seneca (4 vor bis 65 nach Christus).

Seneca erklärt: „Ihr lebt, als lebtet ihr ewig, niemals kommt euch eure Gebrechlichkeit in den Sinn … Alles fürchtet ihr wie Sterbliche, alles wünscht ihr euch wie Unsterbliche … Wie spät ist es doch, dann mit dem Leben zu beginnen, wenn man es beenden muss!“ Doch das Leben zu leben, heißt für Seneca nicht, sich dem wilden Genuss hinzugeben, sondern zu sich selbst zu finden, nicht Umgang mit jedermann zu pflegen, sondern mit sich selbst. Das empfahl auch der Kaiser-Philosoph beziehungsweise Philosoph-Kaiser Marc Aurel (121 Bis 180 n. Chr.).

Über jedem Haupte schwebt der Tod

Marc Aurel erläutert: „Tue nicht, als wenn du Tausende von Jahren zu leben hättest. Der Tod schwebt über deinem Haupte … All dein Tun und Denken sei so beschaffen, als solltest du möglicherweise im Augenblick aus dem Leben scheiden. Aus der Mitte der Menschen zu scheiden, hat nichts Schreckliches, wenn es Götter gibt. Denn sie werden dich nicht dem Unglück preisgeben.“ Selbst in Zeiten, da die Menschen glaubensfest waren, blieb jedoch immer ein Restzweifel über die Zeit danach, über das Leben nach dem Tod.

Und in der heutigen mehr und mehr glaubenslosen Zeit fürchten die Menschen, nach dem Tod ins ewige Nichts zu stürzen. Für Marc Aurel und andere glaubensstarke Menschen, Christen und andere, gibt es dieses Problem nicht. Auch den frühen Tod fürchtete Marc Aurel nicht, denn „der im höchsten Lebensalter und der sehr jung Sterbende verlieren das Gleiche. Sie verlieren nur den gegenwärtigen Zeitpunkt, weil sie nur diesen allein besitzen und weil das, was man nicht besitzt, nicht verlieren kann. Quelle: „Tacheles“ von Michael Wolffsohn

Von Hans Klumbies